Hätte Wilfried Wruck diese "Lebensbeschreibung" in eine Elegie
gefasst, wäre eine gute Elegie entstanden; so ist’s ein mäßiger,
romanhafter Bericht geworden, unentschieden zwischen Autobiografie,
Mein-Leben-am-Wendepunkt-Literatur ("Stehe ich noch zu meiner Tätigkeit
als Beamter?"), Nachruf und Liebeserklärung an seinen Sohn Meinhard
("Aus einem zarten Wesen entwickelte sich ein Kind, das ganz anders war als
seine Altersgenossen. Geschlagen hat er sich nie. Seinen Willen verstand er
immer durchzusetzen, war ein gewaltloses Kind und dennoch willensstark."),
der 16jährig bei einem Skiausflug ums Leben kam, "die Fotografie unseres
Sohnes lässt mich nicht los". Besonders mit diesem Unglück, seinen
Hintergründen und Folgen ("Nach Meinhards Unfall geriet unser
Familienleben durcheinander.") setzt sich der Text auseinander, "wie
es dem Jungen wohl ergangen ist, als er um sein Leben kämpfte, nachdem die
Urgewalt sich gegen ihn gerichtet hat?"; dabei gleitet der Autor immer
wieder in ein was-wäre-wenn ab ("Was wäre gewesen, wenn wir damals nicht
nach München umgezogen wären? Ich glaube, passiert wäre es doch. Kommt die
Stunde und mit ihr das Schicksal, lässt sich nichts aufhalten. Ernte folgt auf
Saat. Unwiderruflich."). Immer wieder leuchtet die Verbundenheit des Vaters
auf, "Ich war stolz auf den Jungen. Und Meinhard war auf seinen Vater
stolz.". Berührend liest sich die Schilderung einer über den Alpen
aufgehenden Sonne, für die Vater und Sohn frühmorgens zwischen Stein und Gras
stakten. Nicht weniger rührend die beklemmenden Worte über das
Ohnmachtsgefühl nach Benachrichtigung über Meinhards Tod. Fragen nach dem
Leben nach dem Tod und der Angst vor dem Tod stehen also im Mittelpunkt. Da
wundert es nicht, wenn der Autor mitteilt, er habe Schriften über menschliche
Wiedergeburt gelesen, und sei dabei zunehmend skeptisch gegenüber der
katholischen Kirche geworden, "Die Beschränkung auf ein Einmalgeborensein
weist auf das Dogma hin, das der Christusbotschaft nicht gerecht wird. Ja, ihr
widerspricht.". Diese Gedanken über DAS Verstehen und DAS Glauben nehmen
viel Raum im Roman ein, "Als Kind habe ich einmal versucht, den Begriff von
Ewigkeit zu verstehen. Schwindlig war mir dabei geworden, und ich hatte mich an
solche Denkvorgänge nicht mehr herangewagt, bei denen ich ins Bodenlose fiel.
Zu klein fühlte ich mich, dessen war ich mir sicher, Ewigkeit zu begreifen.
Grübelte ich nicht nach, war mir wesentlich wohler. Zwar funktioniert das Leben
ohne Verstand nicht, doch Grübeln ist für mich kein Weg, seelisch-geistige
Erkenntnisse zu gewinnen. Mache ich mich gedanklich frei, geschieht es, dass ich
in einer verfahrenen Sache plötzlich weiß, wie es weitergeht. Beim Sinnieren
komme ich mir vor, als stiege ich in eine Grube. Daher stammt wohl der Begriff
vom Grübeln.". Um seiner neu erwachten Religiosität ganz zu frönen,
besucht er schließlich Israel, er spürt "ein Gefühl andachtsvoller
Verbundenheit mit jenem Land, durch das der Gottessohn gewandelt war. [...] In
erster Linie zog es mich dorthin, wo Jesus gewirkt hatte. Selbst wollte ich
empfinden, was er gemeint hatte.". Zur Ruhe kommt er dort nicht,
"Immer wieder Soldaten und Panzer. Das deprimiert. [...] Wohin das Auge
reicht: Stacheldraht!".
Fazit
"Zur Ruhe kommst Du, Adrian Bruegge, nie": an einigen Stellen
aufbrausend poetisch, an anderen Stellen meditativ glitzernd, im Ganzen
halbherzig, temperamentlos, lauwarm, nicht Fisch, nicht Fleisch; zweifellos ein
sehr wichtiges Buch für den Autor, aber für den Leser - -?
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 10. Februar 2004 2004-02-10 19:21:44