Sicherlich, es war nur eine Frage der Zeit, bis ich einen Roman von Minette
Wolters in den Händen halte. Bei meiner Englandaffinität muss schließlich ein
solcher Roman von mir gelesen werden. Die britische Schriftstellerin ist dafür
bekannt, dass ihre Krimis und Thriller einen starken britischen Charakter
aufweisen. Ihr Roman "Der Nachbar" erschien 2001 und verbindet auf
hervorragende Weise die Kriminalermittlung um ein vermisstes Mädchen mit einem
gänzlich anderen Thema.
Darum geht es in dem Roman: In der Sozialsiedlung Bassindale bei Southampton
schlägt bei der Bevölkerung die Aufregung in Chaos um. Ein zehnjähriges
Mädchen ist verschwunden. Die Leute sind besorgt. Da sickert dank einer
Sozialarbeiterin durch, dass in der Siedlung ein Sexualstraftäter unter einer
neuen Identität einquartiert worden war. Die Erregung der Leute um das
Verschwinden des kleinen Mädchens schlägt um in Hass. In Demonstrationen
wollen sie ihrer Wut freien Lauf lassen. Doch unter die Demonstranten mischen
sich auch randalierende Jugendliche. Unter Alkohol- und Drogeneinfluss basteln
sich die Jugendlichen Benzinbomben und wollen diese gegen den Kinderschänder,
den sie für den Entführer des kleinen Mädchens halten, einsetzen. Das kleine
Viertel verwandelt sich in einen Hexenkessel. Es gibt Tote und zahllose
Verletzte. Während ein großes Polizeiaufgebot unter Zuhilfenahme eines
Polizeihubschraubers versucht wird, der Lage in dem Viertel Herr zu werden,
forciert eine kleine Einsatzgruppe der Polizei die Ermittlungen im Falle der
verschwundenen Amy.
Die Autorin hat den Roman in zwei Parallelhandlungen aufgeteilt. Da ist zum
einen der Strang um die Ausschreitungen in dem Sozialviertel und zum anderen die
Jagd und Suche nach dem Mädchen und ihrem Entführer. Gespickt wird die
Handlung immer wieder mit Protokollen von der Polizei, die dem Ganzen den Hauch
einer Liveberichterstattung geben. Vom Polizeihubschrauber aus wird die ganze
Szenerie beobachtet und immer wieder ein Überblick über die Randalierer
gegeben. Als die Randalierer das Oberwasser gewinnen, geraten selbst die
Initiatoren der Demonstrationen in das Fadenkreuz dieser Rowdys. Der erste Tote
allerdings ist selbst einer von den Randalierern, der durch seine eigene
Benzinbombe in Brand gerät. Die hilfsbereite Ärztin gerät in die Fänge des
Sexualstraftäters und seines Vaters. Dieser ist polnischer Abstammung und geht
wahrlich nicht zimperlich mit der Ärztin um. Auch das gesamte Chaos im Viertel
ist bildhaft beschrieben und versetzt den Leser in eine chaotische
Ausnahmesituation. Chronologisch parallel erfährt der Leser von der Suche nach
den zehnjährigen Mädchen. Dabei kommt es immer wieder sporadisch zu Kontakten
mit den Leuten im Ausnahmezustand. Informationen werden hin und her gegeben.
Aber zu einem wirklichen Zusammenführung beider Stränge wird es nicht kommen.
Beide Stränge sind aufregend und spannend. In beiden Handlungsverläufen werden
die Ursache für das Verschwinden des Mädchens aufgezeigt.
Die Aufmachung des Taschenbuches ist ansprechend. Neben den Protokollen der
Polizei ist gleich zu Beginn eine Karte des Stadtteils mit den Straßen
abgebildet, auf die der Leser immer wieder zurückgreifen kann, wenn die
Straßennamen in der Handlung beschrieben werden. Das Flair der englischen Stadt
und der englischen Landschaften kommt ausreichend rüber. Darauf liegt
sicherlich nicht das Hauptaugenmerk der Schriftstellerin, aber wer die
Großstädte in England kennt, kann eine gute Vorstellung von dem Sozialviertel
bekommen. Die südenglische Stadt Southampton macht darin keinen Unterschied.
Fazit
Der Roman ist extrem lesenswert und bietet eine gute Unterhaltung.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 24. Februar 2015 2015-02-24 16:45:43