"Tausend Leben will ich dir geben, nur wandeln kannst du nicht auf alten
Wegen. Bist du mein, bist du's für immer. Bist frei und wild vorm
Himmelsschimmer... doch kennen wirst du nimmer eines Menschen Kuss."
Das lockende Versprechen des Flusses barg einen rettenden Ausweg für die
todkranke Inga und die unheilvolle Verheißung, die darin lag... wer sieht schon
die Gefahr, wenn es gilt, das Leben zu erlangen? Die schwere Erkrankung, die von
ihr Besitz ergriffen hatte, kannte kein Erbarmen. In Schüben trat sie immer
wieder auf, zerstörte ihr Leben, vergiftete ihre Lust am Schönen, nahm ihr die
Freude am Dasein und bot als Gegengabe Schmerzen, Verzweiflung und Mutlosigkeit,
die als ihre alltäglichen Begleiter das Dasein zu einem Inferno von Angst,
Hilflosigkeit und quälenden Albträumen machten.
Als ihre Tante Randi ihr einen Becher mit kühlem Flusswasser einflößte,
musste der Tod, der sie gerade in seinen Mantel gehüllt hatte und sein Eigen
nennen wollte, seine Arme öffnen und sie an das Leben zurückgeben - aber es
war ein anderes Dasein, ein Weiterleben als Rehdoppel, fern von der Familie, mit
einer Herde Anderer, die eine zweite Chance als Tierdoppel erhielten und abseits
menschlicher Behausungen im undurchdringlichen Wald ihre Heimstatt errichtet
hatten. Für die Nacht konnten sie in ihre menschlichen Körper zurückkehren,
aber die aufgehende Sonne ließ sie in ihr schimmerndes Rehfell gleiten und
ihren fremden Lebenspfad wieder aufnehmen. Dieses zweite Leben jedoch barg eine
Vielzahl von bedrohlichen Versuchungen und Gefahren, mit den Inga nicht rechnen
konnte.
Auch die Sehnsucht, in den Stunden des "Mensch-Seins" noch einmal
nachhause zurückzukehren, einmal nur Mutter und Schwester wiederzusehen, zu
wissen, dass es ihnen gut ging, war eine Verlockung, um die Ingas Gedanken
kreisten, aber Aurelius, ihr Anführer, hatte sie vor den Folgen einer
Entdeckung gewarnt, vor deren ungeheuren Auswirkungen, die den Untergang der
gesamten Herde bewirken könnten. Aber vielleicht passierte ja gar nichts, es
sollte nur kurz sein, nur nachts... wer sollte sie schon entdecken? Oder musste
das ein Traum bleiben?
Julia Meyer hat einen ausgefallenen Roman geschrieben. Er entführt uns
einfühlsam in ein Reich der Fantasy, in andere Sphären, in ein Dasein, das
seine Existenz der Zauberkraft des Wassers verdankt und dessen Wesen bereits
alle einmal die Schwelle vom Leben zum Tod überschritten hatten und als
Tierdoppel zurückfanden. Flüssig, mit viel Sprachreichtum, schafft es die
Autorin, den Leser in eine spannende, mysteriöse und gefühlvolle Geschichte
einzubinden, in der man problemlos und mit viel eigener Empathie zwischen den
Welten hin und her wandert. Die starken Gefühle, die übereinstimmend auf
beiden Daseinsebenen zum Tragen kommen, schaffen ein wunderbares Bindungselement
und vernetzen Fantasy und Realität zu einer empfindungsintensiven Einheit, die
das Ganze zu einem außergewöhnlichen Leseerlebnis macht.
Fazit
Der Preis des Lebens ist der Tag. Ein gelungener Roman, der seine Anhänger
sicherlich nicht nur im Fantasy-Bereich findet. Ausdrucksstarke Verbindung
zwischen Realität und Fantasy mit Spannung und Gefühlsintensität.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 26. Januar 2015 2015-01-26 22:13:12