Richard Westlake wird plötzlich so schwer krank, dass Hausarzt und Ärzte im
Krankenhaus besorgt reagieren. Der Umgang der Mediziner mit Richards Eltern
lässt zu wünschen übrig; denn niemand teilt ihnen eine Diagnose mit. Der
Eindruck könnte entstehen, dass Richard um jeden Preis eine psychische
Erkrankung angedichtet werden soll. Deutlich sichtbar wächst Richard ein
zweiter Kopf; eine Art zynischer, ungehobelter Quasimodo, der auf Richards
Schulter hockt und sich nach Kräften daneben benimmt. Rikki nennt sich der
unerwünschte siamesische Zwilling, motzt gegen Schuluniformen, Lehrer, Eltern
und speziell über den Umgang der Westlakes mit dem Tod des Großvaters.
Richards bizarre Behinderung folgte direkt auf den Tod seines Großvaters, an
dem der Junge sich schuldig fühlt. Mit Rikkis dreistem Auftreten in der Schule
scheint nun Richards Traum vom Stipendium für eine weiterführende Schule zu
Ende geträumt zu sein. Praktische Fragen müssen geklärt werden. Darf ein
Schüler mit zwei Köpfen an Fußballturnieren teilnehmen oder ist Richards
sonderbarer Auswuchs eine unerlaubte Behinderung der gegnerischen Mannschaft?
Auch sprachlich ist die Angelegenheit höchst interessant. Richards Eltern haben
ein Kind und lieben beide (Köpfe).
In der Schule lungert neuerdings Dr. Warren herum, ein dubioser
Neurowissenschaftler, der Versuche mit Kindern und Affen macht und der in der
Manier eines Kinderhändlers psychisch auffällige Schüler einkassiert. Außer
Richard gibt es weitere Schüler, auf die Warren begehrliche Blicke richtet. Der
Forscher agiert wie eine vierte Macht im Staat und hebelt die Rechte von Kindern
und Eltern kaltschnäuzig aus. Während Richard sich wie gewohnt brav anpasst,
vermasselt Rikki die Dinge mal wieder, indem er Dr. Warrens Beiträge beim Namen
nennt - unerträgliches Gequatsche. Mit dem überraschenden Ausgang eines
Überlebensbiwaks nimmt die Geschichte schließlich ein verblüffendes Ende und
schließt den Bogen zu Richards Trauer um seinen Granddad.
Fazit
Richards anarchistisches zweites Ich verursacht groteske und für den Jungen
peinliche Situationen. Mit einem Neurochirurgen in der Rolle des Schurken
verarbeitet Mulligan die Themen Tod und Trauer höchst originell. Die Sprache
der beteiligten Figuren gibt tiefen Einblick in ihre emotionale Lage. Ob ein
Krankenwärter oder ein Pfleger aktiv wird, sagt z. B. viel über die
Gefühlslage einer Figur oder die Sicht des Erzählers aus. Autor und
Übersetzer hätten aus der Geschichte sehr viel mehr herausholen können, wenn
sie sich der Macht der Wörter bewusster gewesen wären.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 04. Oktober 2014 2014-10-04 08:48:23