Was der Name verhieß, erfüllte sich leider für die an Bord befindlichen
Passagiere und etliche weitere Personen über geraume Zeit nicht. Das
italienische Motorschiff "Große Freiheit", das unter panamesischer
Flagge mit Route durch die britischen Inseln im Hafen von Hamburg-Altona Anker
gesetzt hatte, war ein schwimmendes Gefängnis geworden, seit an Bord der
Kaufmann Carsten Lorsch an einem unbekannten Virus erkrankt und mit extrem
starken Blutungen und hohem Fieber verstorben war. Das luxuriöse
Kreuzfahrtschiff wurde nach dem Anlegen unter Quarantäne gestellt, jegliche
Kontakte untersagt.
Panamesische Ermittler mussten angefordert werden, um den mysteriösen Tod
aufzuklären und bis zu deren Eintreffen durfte auch die Hamburger Polizei nicht
untätig sein. Allerdings scheute der Vizepolizeipräsident allzu großes
Aufsehen und die Chefin des Hamburger Landeskriminalamtes stellte daher zwei
ihrer Beamten zur Verfügung, deren Arbeitsweise genau das Mittelmaß versprach,
das hier gewünscht wurde. Da war zum einen Adam Danowski, ein Kommissar, der es
vorzog, möglichst übersichtlichen Problemen zu begegnen, die von seinem
Schreibtisch aus erledigt werden konnten, weil alles Neue ihn durch die ihm
eigene Hypersensibilität über die Maßen forderte und ermüdete, zum anderen
Andreas Finzel, Finzi genannt, der nach Überwindung von bewegter Vergangenheit
mit überstandener Alkoholsucht und missglücktem Suizidversuch nun wieder
ordnungsgemäß seinen Dienst versah.
Das tödliche Virus wurde durch Dr. Tülin Schelzig, eine Virologin des
Tropenmedizinischen Instituts Hamburg als Filovirus identifiziert, dessen
Verbreitung auf afrikanischem Boden bekannt war. Aber wie konnte diese tödliche
Gefahr an Bord kommen, obwohl die Route des Liners vollkommen andere
Schifffahrtswege genommen hatte? Wieso war ausgerechnet Lorsch das Opfer und wo
war Simone Bender, die rothaarige, attraktive junge Frau, für die Carsten
Lorsch die Kreuzfahrt gebucht hatte? Wo lag der Ansatzpunkt für dieses
Verbrechen, wo konnte die Klärung beginnen?
Einer Fülle von Fragen muss Kommissar Danowski sich stellen, als er an Bord die
Recherchen aufnimmt. Mit Unterstützung seines Kollegen Finzel und der
Rechtsmedizinerin Christine Ehlers versucht er den Tod des Geschäftsmannes
aufzuklären - und das mit einem für ihn ungewöhnlichen Engagement, als ihm
klar wird, das ungeahnte Machenschaften hinter der Virus-Infektion stecken, die
wie Treibland auf See ein Täuschungsmanöver für ganz andere Tatbestände ist.
Doch seine couragierte Ermittlung bedeutet Lebensgefahr und ruft seine Gegner
auf den Plan, sodass Carsten Lorsch nicht das einzige Opfer dieser Inszenierung
bleibt.
Till Raethers Debüt ist generell erst einmal wunderbar in vielen Belangen.
Seine Protagonisten sind eindringlich und authentisch, seine Sprache ist
flüssig und reichhaltig, seine Worte voll phantasievoller Fülle, wie man es
selten antrifft. Er schafft es hervorragend, eine Atmosphäre zu gestalten, die
der unheimlichen Situation dieses Pestschiffs gerecht wird und in die auch der
Leser sich hineingezogen fühlt. Sein Stil ist eine Wanderung zwischen teils
flapsiger Ironie und aufgelockertem Humor bis zu nachdenklich machenden
Zugriffen auf innere Einstellungen und äußere Befindlichkeiten. Eine
wohldosierte, angenehm zu genießende Mixtur, die das Lesen flott und
unterhaltsam gestaltet. Ermittlungen nehmen den Leser mit in verschiedene
Richtungen, viele Möglichkeiten liegen im Geschehen, deren Erzählstränge in
einer logischen, sehr gut nachvollziehbaren Auflösung enden.
Dass der Autor sein Werk einen "Kriminalroman" nennt, könnte
vielleicht bei diesem oder jenem Leser eine falsche Vorstellung erwecken. Durch
die sehr ausführliche, ins kleinste Detail gehende Schilderung von Charakteren
und Situationen ist man eventuell zuerst geneigt, einen fortlaufenden
Spannungsbogen zu vermissen, weil dieses Buch dem üblichen Schema der Kriminal
- und Thriller-Literatur nicht entspricht. Im Fortgang des Romans allerdings
wird diese ausgefallene Art des Schreibens zunehmend zum Lesegenuss und bringt
eine wunderbare Integration in die mysteriöse Situation ohne diese zu
"pushen", wie es in anderen Krimis teilweise gehandhabt wird.
Für mich volle Punktzahl und absolut lesenswert.
Fazit
Kriminalistisches Treibland - ein ausgefallenes, lohnenswertes Debüt.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 25. April 2014 2014-04-25 15:08:21