Wenn man den unten stehenden Text des Verlages liest, kommt man zum Schluss,
dass ein durch die Zeit reisender Serienkiller sich nach einer
vielversprechenden Idee für ein spannungsgeladenes Buch anhört.
Chicago zur Zeit der Großen Depression. Lee Harper lebt auf der Straße. Er
ist kaltblütig, hochgefährlich, von Wahnvorstellungen getrieben. Seit er die
strahlend schöne Tänzerin Jeanette sah, träumt er von seinen "Shining
Girls". Er will nur eines: ihr Licht für immer auslöschen. Eines Tages
fällt ihm der Schlüssel zu einem alten Haus in die Hände - ein Portal. Von
nun an reist Harper durch die Zeit, um zu töten. Niemand kann ihn stoppen,
keiner vermag die Spuren zu deuten, die er am Tatort hinterlässt. Dinge, die
noch nicht oder nicht mehr existieren. Doch dann überlebt eines von Harpers
Opfern. Der jungen Kirby gelingt es, die unmöglichen Puzzleteile
zusammenzusetzen. Und sie beginnt, den Killer durch die Zeit zu jagen.
Der Klappentext hört sich erst einmal gut und interessant an. Ein Mann der zum
Morden durch die Zeit reist. Die Gegnerin des irren Serienkillers ist die junge
Kirby Mazrachi. Kirby ist ein Opfer des Mörders, die aber ihre schweren
Verletzungen überlebte. Ihr Peiniger war der irrigen Meinung, sie würde seinen
Attacken erliegen. Harper Curtis begann im Jahr 1931 einen Mord und auf der
Flucht vor seinen Häschern gerät er in ein geheimnisvolles Haus. Das Haus
bietet ihm die Möglichkeit, in den Jahren zwischen 1931 und 1993 hin und her zu
reisen. Das Haus zeigt ihm aber auch etwas anderes. In einem Zimmer findet er
die Namen von Frauen, die als Shining Girls bezeichnet werden. Harper hat jetzt
nichts besseres zu tun, als neben anderen Morden, vor allem die Shining Girls
umzubringen. Aber warum? Harpers Motivation wird auch nicht in den Passagen
klar, in denen aus seiner Sicht geschrieben wird. Trotzdem gelingt es mir nicht
ganz, diesen Charakter ernst zu nehmen. Es fehlt mir einfach der Bezug zu
Harper. Da war mir sein Opfer und Jägerin Kirby wesentlich sympathischer. Das
System, wie der Roman funktioniert, ein Zeitreiseroman und ein Thriller in
einem, wurde mir schnell klar.
Im Anschluss an diese Buchbesprechung folgt ein kurzes Interview mit der
Autorin. Vermittelt freundlicherweise durch Leonie Minack. Vielen Dank auch an
Leonie Minack für die Übersetzung meines schlechten englisch in für die
Autorin lesbares. Die Fragen stammen von Susanne Gisecke und Erik Schreiber, die
Übersetzung von Tanja Bröse-Kronz.
Was war Dein Antrieb, dieses Buch zu schreiben?
Es ist dieselbe Motivation, die ich bei jedem Buch habe - eine gute Geschichte
zu erzählen, die hoffentlich vereinnahmend, anregend und überraschend ist und
etwas darüber zu sagen hat, wer wir sind in dieser Welt. Bei diesem speziellen
Buch waren die Themen wie diese alle wichtig für mich: wie das 20te Jahrhundert
(das Amerikanische Jahrhundert) die Welt geformt hat, Frauenrechte - wie viel
sich verändert hat und wieviel nicht, die Art wie wir über Gewalt gegen Frauen
reden und die Mörder mehr glorifizieren als die Opfer, und die Kapriolen der
Geschichte.
Wie kamst du zum Schreiben? Gab es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Ich bekam die Idee, als ich auf Twitter einem eigentlich Fremden scherzend
schrieb: "Ich sollte ein Buch über einen zeitreisenden Serienkiller
schreiben " und es gleich wieder löschte, weil ich dachte die Idee hätte
großes Potenzial.
Sie (die Idee) kam außerdem aus einer recht persönlichen Ecke, da ich
persönliche Erfahrung damit hatte, wie sehr die Gerechtigkeit irren kann. Eine
junge Frau, die ich kannte war von ihrem Freund gewalttätig mit einem Kocher
und einem Messer angegriffen worden und starb vier Monate später an ihren
Verletzungen. Ich versuchte, mich des Falles anzunehmen, aber die Polizei
stellte kaum Ermittlungen an und die Familie sagte mir, sie könnten es nicht
länger ertragen und wollten es sein lassen. Ich fand es sehr schwer, einfach
hinzunehmen, dass ihr Mörder noch immer da draußen ist. Und Kirby, die
Überlebende in meinem Buch, teilt dieses Gefühl. Sie ist nicht bereit
aufzugeben. Sie wird den Mann finden, der ihr dies angetan hat und verhindern,
dass es irgendjemand anderem antut.
Natürlich, die Wahrheit über Gewalt gegen Frauen ist, dass sie nicht von
unheimlich Boogiemen ('Schwarzer Mann') -Psychopathen begangen wird, sie
geschieht mehr im Alltag, in häuslicher Umgebung. Es sind keine Serienkiller,
die die Frauen töten, es sind die Männer die behaupten sie zu lieben.
Aber dann weiß nicht nicht, wie gut sich ein Buch über einen zeitreisenden
missbrauchenden Mann verkauft hätte.
Ich benutze die Erzählung über einen Serienkiller als einen Weg zu erzählen,
wie wir über die Opfer reden, wie wir mit Gewalt umgehen, was es HEISST, wenn
eine Frau getötet wird, ihr Leben und ihre Möglichkeiten drastisch
abgeschnitten werden.
Wie entstehen die Ideen für ein Buch, was inspiriert Dich beim Schreiben?
Aus der Geschichte, aus Erfahrungen, von all den Wundern und Schrecken in der
Welt. Ich sammle Ideen in meinem Kopf und manchmal finden sie auf interessanten
Wegen zusammen.
Du schreibst auch Drehbücher. Gehen diese alle in den SF-Bereich und wie viele
wurden schon verfilmt?
Ich schreibe vorwiegend für Kindersendungen, so ja, sie sind fantastische und
abenteuerlich und gefühlvoll.
Wie entstand die Idee für 'Shining Girls' und wie lange hast du an diesem
Thriller geschrieben?
Wie oben erwähnt, bekam ich die Idee auf Twitter. Ich brauchte ein Jahr es zu
schreiben, inklusive einer Nachforschungs-Reise zurück nach Chicago und Monate,
in denen ich über Geschichte gelesen und über Serienkiller nachgeforscht habe,
über weibliche Schweißer in den Vierzigern, Architektur,
Frauenrechtsbewegungen, soziale Proteste in den Siebzigern, Punkmusik in den
Neunzigern und mich in den Kopf eines jeden Charakters hineinversetzt habe.
Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Dir als Autor und der Hauptfigur, und wenn ja,
gewollte oder eher zufällig?
Siehe oben. Wir beide haben Mühe, Ungerechtigkeit zu vergeben. Wir beide sind
ein wenig scharfkantig und auflehnend, aber unten drunter sensibel. Aber sie ist
nicht ich. Sie ist eine eigene Person. Alle meine Charakter ähneln mir in
einigen Aspekten - inklusive dem Mörder, Harper, manche haben den Keim in
meiner eigenen Persönlichkeit, den ich zu einem Baum wachsen lassen kann.
In 'Shining Girl' entdeckt Harper eine Tür, durch die er durch die Zeit reisen
und morden kann. Wieso kann er nur Zeitsprünge zwischen den 1930er und 1990er
Jahren unternehmen? Könnte er auch in die Zukunft von 2100 reisen?
Es gibt einen sehr spezifischen Grund für das in dem Buch, was ein Spoiler sein
würde, wenn ich ihn verrate, aber es liegt in der Natur des Hauses, dass es das
macht was es ist, wessen Wille es beschwört und durch die Zeit schickt und was
im finalen Showdown passiert, wenn Kirby und Harper einander wiederfinden.
Ich finde es etwas merkwürdig, wie gelassen die Hauptpersonen Harper und sein
späteres Opfer Kirby auf die Entdeckung, durch die Zeit reisen zu können,
reagieren. Wenn ich dieses Erlebnis hätte, würde ich an meinem Verstand
zweifeln und tausend Erklärungen suchen.
Harper ist, wie viele Serienkiller, ein schlauer Opportunist. Aber er ist auch
abgestumpft durch Zynismus und Gewalt. Er ist gleichgültig, motivationslos, er
ist von den Wundern dieser Welt nicht überrascht und er wird angetrieben von
diesem furchtbaren Zwang. Und Kirby zweifelt sehr an ihrer geistigen Gesundheit.
Sie fragt sich sogar, ob das alles nicht eine Halluzination ist.
Harper sucht seine Opfer als Kinder aus weil sie "leuchten". Was
bedeutet dieses Leuchten und warum verlieren einige es als Erwachsene wieder?
Es ist die Neugierde, die Verbindung mit der Welt, der Mut anders zu sein,
einzustehen für das an das man glaubt, sie Suche nach einer Bedeutung - all die
Sachen, die Harper nicht hat. Die junge Künstlerin verliert es, weil er sie als
Kind so zum Fürchten gebracht hat, dass sie alles in ihrem Leben hinschmeißt
für Selbstzweifel und Abhängigkeit. Sie wird zu einem Opfer der Angst. Er
zerstört sie.
An den Tatorten werden immer Gegenstände gefunden, mal ein Feuerzueg oder eine
Baseballkarte. Diese Souvenirs kommen aus einer anderen Zeit, was bedeuten sie
für den Täter und das Opfer? Werden sie wahllos ausgewählt, je nachdem was
Harper gerade in der Tasche hat?
Die Souvenirs werden den Mädchen weggenommen. Die Verhütungspille war von
Julia, bei Alice zurückgelassen. Das Feuerzeug war von Willie-Rose, ein
Geschenk, dass sie sich selbst gemacht hat, als sie ihren ersten Job als
Architektin bekommen hat, und wurde bei Kirby zurückgelassen. Er nimmt einen
persönlichen Gegenstand und hinterlässt einen Gegenstand. Es ein Spiel, das er
spielt, ein Weg, die Opfer durch die Zeit miteinander zu verbinden, eine
Konstellation der Morde um sie alle miteinander zu verbinden.
Möchte Haprer mit diesen Gegenständen der Polizei Tipps geben, dass er ein
Zeitreisender ist?
Das tut er. Viele Serienkiller sehnen sich nach Anerkennung. Deswegen liest er
die Zeitungen und besucht die Tatorte nach den Morden. Er spielt mit ihnen,
wissend dass sie ihn niemals finden werden, aber er spielt auch mit den
Opfern.
Beim Lesen war es etwas verwirrend, den Zeitsprüngen zu folgen. Hast du einen
Tipp, wie man es lesen sollte, sich z.B. kleine Notizzettel an die wichtigen
Seiten zu kleben, um schnell mal zurückblättern zu können?!
Das ist eine gute Idee. Man kann sich außerdem die Bilder meiner Mordseite auf
Google Images anschauen, die einem zeigen, wie sich die Zeitlinien kreuzen.
Das Ende von Dan, Kirbys Begleiter, wird im Buch offen gelassen. War dies
beabsichtigt, damit der Leser sich den Schluss selber ausdenken kann?
Ich mag etwas mehrdeutige Enden. Es bedeutet, man kann daraus machen was man
will - eine Tragödie oder ein Happy End. Ich persönlich neige mehr zum Happy
End, aber ich mag es, meinen Lesern zu vertrauen, Dinge zur Interpretation offen
zu lassen.
Hast du schon Pläne für einen neuen Roman?
Mein neues Buch, Broken Monsters (Gebrochene Monster), über eine zerstörte
Stadt, zerstörte Träume, gebrochene Menschen die versuchen wieder zu sich
selbst zu finden um eine Serie von monströs deformierten Leichen herum, die in
verlassenen Plätzen in Detroit gefunden werden, wird im Juli auf Englisch
erscheinen.
Und ich ein paar gute Vorschläge, an denen ich für neue Bücher arbeite...
Wo siehst du die Unterschiede zwischen unseren Ländern? (in Bezug auf's
Bücherlesen)
Ich denke, Amerika hat einen festen Platz in unserer kulturellen Vorstellung.
Mich würde mehr interessieren, wie die Leute in Deutschland meine in
Johannesburg spielende Novelle 'Zoo City' lesen.
Gemeint ist, ich denke, Gewalt gegen Frauen in Südafrika ist erschreckend
alltäglich.
Was sind Deine Pläne für die Zukunft?
Nach einem Jahr, dass ich umhergereist bin und an einem neuen Buch geschrieben
habe, würde ich mir gerne eine kleine Auszeit nehmen, vielleicht ein Kinderbuch
schreiben in dem keiner stirbt, oder mehr Comic-Arbeit, aber die Wahrheit ist,
dass ich einen neuen Roman vor Ende des Jahres schreiben werden. Ich kann nicht
anders. Es ist ein Zwang.
Was denkst Du über die Veröffentlichung im Ausland und bist Du Dir sicher,
dass die Übersetzung sinngemäß ist?
Ich spreche nur Englisch und Afrikaans, so kann ich nur eine ungefähre Idee von
den deutschen Übersetzungen bekommen. Ich spreche mit den Übersetzern, die mir
mails schicken um bestimmte Wörter und Ideen zu klären und in einem Fall
brachte mich mein französischer Übersetzer dazu, einen Abschnitt von 'Zoo
City' umzuschreiben weil es ein kleines Loch im Plot gab, und er bestand darauf,
dass ich es füllte! Ich bin dankbar für seine Leidenschaft und er hatte Recht.
Es ist schwierig eine Übersetzung zu bemessen - gewöhnlich höre ich von den
Lesern, was sie darüber dachten.
Kann Literatur die Welt verändern?
Ja. Wir erfahren die Welt durch die Geschichten, die wir uns selbst über uns
selbst erzählen, ob es eine Anekdote über einen Verkehrsstau ist, von dem man
seinen Freunden im Pub erzählt oder ober man durch einen Roman in eine andere
Welt oder ein anderes Leben eintaucht. Empathie ist schwierig. Fiktion ist die
Eingangstür in den Kopf anderer Leute.
Welche Bedeutung hat Literatur für Dich persönlich?
Die Geschichte ist alles. Es ist, wie wir verstehen, wer wir sind in der Welt.
Lesen und Schreiben ist die Leidenschaft meines Lebens.
Vielen Dank für die Antworten und viel Erfolg mit Deinen weiteren Projekten.
Fazit
Die Möglichkeit zwischen den Zeiten hin und her zu reisen ist für die Autorin
Lauren Beukes natürlich eine gute Möglichkeit, auf die Situation der Frauen in
den jeweiligen Jahren einzugehen. Dies erforderte sicherlich eine Menge
Recherche. Diese Arbeit macht sie sich jedoch selbst kaputt, weil die jeweiligen
Frauen nicht lang genug leben, um von der ersten Erwähnung bis zum abrupten
Tod, ihre spezielle Zeit mit "Leben" zu erfüllen. So wird leider
vieles nur angerissen, was zu einer spannenderen Erzählung geführt hätte.
Auch der Reporter Dan, der aufgrund seines Alters mehr erfahren und erlebt hat,
bleibt ein wenig im Hintergrund. Dafür wird er während des kurzen
"Roman-Lebens" immer interessanter. Ähnliches gilt für Kirby. Sie
versucht mit allen Mitteln, den Mann, der sie beinahe getötet hätte zur
Rechenschaft zu ziehen. Harper versucht, sobald er von ihrem Überleben
erfährt, sie wieder umzubringen. Leider nimmt die Ermittlungsarbeit von Kirby
nur einen geringen Teil der Handlung ein. Hier wird die Auflösung auch ein
wenig undurchsichtig, denn es ist mir nicht ganz klar geworden, wie sie den
Killer nun immer dichter auf den Fersen sitzt. Lediglich der Schluss lässt mich
etwas unbefriedigt zurück. Eine Art Hintertür für einen weiteren Mörder?
Vorgeschlagen von erik schreiber
[Profil]
veröffentlicht am 18. April 2014 2014-04-18 19:09:41