Heureux à en mourir...sterbensglücklich sein, das heißt, eine Empfindung zu
haben, die wie ein köstlicher Schmerz oder eine schmerzende Köstlichkeit den
ganzen Körper erfüllt, die uns wegträgt wie eine warme Woge, in die wir
gebettet sind, bis wir erwachen müssen. Dieses Erwachen kam für Bénédicte
und Marcel an einem wunderbaren, sonnengetränkten Sommertag, der erfüllt war
von duftendem Jasmin und dem Gezwitscher der Vögel, der keinen Raum hatte für
sorgenvolle Gedanken, nur für die Freude, die der Besuch der geliebten
Großmutter Delphine, von den Enkeln zärtlich Mamique genannt, ins Leben der
beiden Kinder brachte.
Ihre Mutter, Aimée, hatte sich vor Stunden in ihr Atelier zurückgezogen -
wahrscheinlich beherrschte einmal wieder "Farfadetnoir" ihre Gedanken
und hüllte ihren Kopf in dunkle Wolken ein. Bénédicte und Marcel waren es
gewöhnt zu warten bis seine Herrschaft vorbei war und die liebevolle, heitere,
strahlend schöne Aimée zum Vorschein kam und die stumme, geplagte, so
verletzliche Mutter in Vergessenheit geriet. Aber heute kam es anders. Als
Bénédicte Aimées Atelier betrat, um der Mutter Mamiques frisch gebackene,
fruchtige Blaubeer-Pfannkuchen zu bringen, trat ihr nackter Fuß in etwas
Warmes, Rotes, das unter der Tür des kleinen Badezimmers hervorkam - es war
Blut, Aimées Blut, das den Sommerzauber beenden und das Leben der Familie aus
den Fugen werfen sollte.
Emil Baron zog mit den beiden Kindern von Hamburg nach Sprede, nachdem Aimée
seiner Aussage nach in ein Sanatorium gebracht und dort gesund gepflegt wurde.
Er selbst übernahm die Leitung der Irrenanstalt Sprede und die Kinder sollten
dort zur Schule gehen und allmählich wieder ein normales Leben führen können,
wenn die Schrecken der Vergangenheit verblasst sein würden. Ob Emil die
richtige Entscheidung für seine Kinder getroffen hatte, nachdem er schon
Aimées Seele nicht vor Depressionen hatte bewahren können, weil er glaubte,
ihre Sehnsucht gelte gemeinsamer Normalität? Er, dessen Berufung es war,
Menschen aus dem Abseits zurückzuführen, konnte seinen eigenen Kindern nicht
helfen das traumatische Erlebnis und die Trennung von der Mutter zu verarbeiten,
so waren sie ohne seine Hilfe auf dem Weg zu ihrer eigenen Identität.
Das Debüt von Maria Regina Heinitz ist ausdrucksstarke, gefühlsintensive Kost,
die einen ganz besonderen Anspruch an den Leser stellt. Sie fordert intensives,
ausführliches Lesen, möchte mit allen Sinnen erfasst werden und erwartet die
bereitwillige Entgegennahme aller verborgenen Hinweise auf menschliche
Schwächen und Stärken, auf Ebenen des Seins und der Vision. Bunt und
vielschichtig zeichnet die Autorin die Entwicklung Bénédictes auf diesen
Ebenen, so dass oft die eine sich mit der anderen vermischt. Eine Fülle von
interessanten Protagonisten flankieren diese Selbstfindung, jeder besonders und
eigentlich wert, eine eigene Geschichte zu haben.
Eingebunden in eine wunderbare, wortreiche Sprache erhalten diese Akteure den
ihnen angemessenen Rahmen und fesseln den Leser bis zur letzten Zeile. Ein Buch,
das die Seele nicht immer froh sein lässt - aber "sterbensglücklich"
ist auch eben nicht einfach nur "glücklich". Von mir alle Sterne und
eine Leseempfehlung für "Lieblingsbuch-Sammler".
Fazit
Wie viele Farben hat eigentlich so ein Sommer? Über Verlust, Schmerz,
Selbstfindung und Träume.
Vorgeschlagen von brillenbaby
[Profil]
veröffentlicht am 14. April 2014 2014-04-14 19:34:35