Karl der Große - nur wenige mittelalterliche Herrscher spielen auch heute noch
eine zumindest nicht unbedeutende Rolle im Kulturgedächtnis wie der
Frankenkönig und Kaiser, dessen Todestag sich im Jahr 2014 zum 1200. Mal
jährt. "Vater Europas" wurde er genannt, wenngleich ihm eine
allgemeine europäische Idee, die sich nach dem 2. Weltkrieg zu einem
Glücksfall für die Nationen in der EU entwickelte, vollkommen fremd war. Karl
war vielmehr Machtmensch und "Glaubenskrieger", ein bisweilen mit
brutalsten Mitteln agierender König und Heerführer, der aber gleichzeitig ein
religiöser Mensch war, der sich für Bildung interessierte und diese auch
förderte. An Biographien zu diesem bedeutendsten Karolinger mangelt es nicht;
allein in den letzten 15 Jahren sind rund ein Dutzend erschienen. 2013
erschienen zwei neue deutsche Biographien, verfasst von Kennern ihres Fachs. Die
Biographie von
Johannes
Fried wurde bereits an anderer Stelle besprochen, die sich von der
vorliegenden Stefan Weinfurters gleich an mehreren Stellen unterscheidet.
Weinfurter ist wie Fried ein Kenner der Materie, wenngleich seine Forschungen
sich stärker mit dem Hochmittelalter beschäftigen. Weinfurter beginnt seine
Biographie mit einem Überblick zum Geschichtsbild und den Quellen, was dem
Einsteiger die Orientierung erleichtern dürfte. Ab Kapitel 4 wird das Leben
Karls geschildert, wobei sich chronologische und systematisierende Abschnitte
abwechseln. Die Darstellung nimmt den Leser sozusagen "an die Hand"
und bietet für Vorgebildete nur punktuell abweichende Meinungen. Interessant
ist aber Weinfurters Versuch, einige in der Forschung durchaus kritische Punkte
hinsichtlich der Feldzüge in den weiteren Kontext von Karls Reichspolitik
einzuordnen, so den letztlich gescheiterten Spanienfeldzug im Jahr 778. Die
langen und durchaus blutigen Sachsenkriege, die Weinfurter sicherlich zu Recht
in Zusammenhang mit der gewaltsamen karolingischen Missionierungspolitik bringt,
wird auch auf den beharrlichen Widerstand der Sachsen zurückgeführt.
Herrschaft, Verwaltung, Kirche, Bildungspolitik und Familie werden in separaten
Kapiteln zugunsten einer übersichtlichen Darstellung besprochen. Im 12. und
letzten Kapitel fasst Weinfurter seine Darstellung noch einmal zusammen. Dabei
sind für ihn zwei Punkte hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung nach Karls
Tod von Bedeutung. Zum einen die Rolle der Wahrheit, die Weinfurter im Sinne von
Erkenntnis des Guten und Wahren versteht, wofür Wissen und Bildung, eben
Geistesbildung, erforderlich waren. Karls Bildungsreform und der gleichzeitig in
Gang gesetzte Prozess des Wissenstransfers waren hierbei von entscheidender
Bedeutung für die Zukunft. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist für Weinfurter die
Rolle der Klöster, die hinsichtlich der Kirchenorganisation sowie als Bewahrer
von Wissen von Bedeutung waren, da in ihren Mauern das noch vorhandene antike
Wissen tradiert wurde.
Fazit
Weinfurters Biographie ist eine flüssig verfasste Darstellung der
Lebensumstände Karls und des karolingischen Reiches in seiner Zeit. Es
unterscheidet sich in mehreren Punkten von Frieds umfangreicherer, aber teils
auch etwa stärker abgleitenden Darstellung. Für den Einsteiger mag Weinfurter
die bessere Wahl sein, wenngleich beide Biographien absolut gelungen sind und
sich auch gut ergänzen. Fried ist sich in seinem groß angelegten Werk aber
wohl stärker der Grenzen der Quellenaussagen bewusst, wobei
"wissenschaftliche Fiktion" Lücken ausfüllen muss, während
Weinfurter der Quellenüberlieferung mehr Aussagekraft beimisst.
Weinfurter übersieht zwar nicht manche Fehlschläge Karls, betrachtet ihn aber
als bedeutenden Herrscher, der zwar aus dem ehemals "barbarischen"
Volk der Franken stammte, sich seiner Stellung als christlicher Herrscher jedoch
mehr als bewusst war. Weinfurters Buch ist nicht zuletzt ein Beleg dafür, dass
moderne Geschichtsschreibung gelehrt, aber auch überaus lesbar sein kann. In
diesem Sinne wird Weinfurters "heiliger Barbar" hoffentlich auch
zahlreiche Leser finden.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 16. Februar 2014 2014-02-16 19:49:20