Vor über 50 Jahren veröffentlichte Franz Fühmann (1922-1984) sein Gedicht Lob
des Ungehorsams als Nacherzählung des Märchens von den sieben Geißlein. Nun
erscheint es frisch illustriert im Hinstorff Verlag. Die für ihren
unverwechselbaren Zeichenstil international ausgezeichnete und in Mecklenburg
lebende Kristina Andres führt Fühmanns Gedicht in ihren doppelseitigen
Illustrationen mit zartem Strich und gedeckten Farben weiter. Sie zeigt die
alleinerziehende Geißenmutter am Bügeltisch, im Familienauto oder mit ihrer
Rasselbande vor dem Flachbildfernseher. Ihr ungehorsames Geißlein ist stets
sichtbar wissbegierig, wofür er auch schon mal sein Spielzeugauto demontiert
und neu erschafft. Dass sich seine Neugier nicht durch Mutters Verbot, nicht in
den Uhrenkasten zu schauen, bremsen lässt, wird ihm aber - wie jeder weiß -
das Leben retten.
Franz Fühmann baut Spannung durch retardierende Erzählpausen auf, unterstützt
Andres dies durch das sichtbare Erscheinen des Wolfs. Da tritt eine gewaltige
Pfote ins Bild und der riesige Schatten des Untiers erreicht das Haus, während
die Mutter wegfährt. Auf dem Folgebild steigert sie das finstere Grauen, indem
allein der Schwanz des Wolfs das Bild fast völlig hinter sich
"verschlingt". Was aus den gehorsamen Geschwistern wird, sagt
Fühmanns Gedicht zwar nicht, doch Andres' Zeichnungen deuten das Grimmsche Ende
einer Rettung an: Der Wolf liegt mit geflicktem Bauch am Boden.
Franz Fühmann war es wichtig zu zeigen, dass es gefährlich sein kann, von
seinen Kindern bedingungslosen Gehorsam zu fordern. Aufgrund seiner Erfahrungen
mit dem Nationalsozialismus und seiner kritischen Einstellung zur Entwicklung
der DDR, wollte er zu Neugier und Selbstbewusstsein aufrufen. Kristina Andres
ist es hervorragend gelungen, ihn dabei zu unterstützen.
Fazit
Ein altes Märchen zweifach neu erzählt. Ein tolles Bilderbuch, das seine Leser
bereichert.
Vorgeschlagen von Maren Partzsch
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veröffentlicht am 13. Januar 2014 2014-01-13 21:24:17