George Martins Buchreihe "A Song of Ice and Fire" (dt. "Das Lied
von Eis und Feuer") schildert keine abgedroschene Märchenhandlung über
Gut und Böse, mit dem unterlegenen Bösewicht und dem immer siegreichen Held,
im Gegenteil. Martins fiktive Welt, die in den sieben Königreichen von Westeros
spielt, ist brutal, schmutzig, verlogen - und realistischer als die meisten
anderen Romanhandlungen, seien sie nun in einer fiktiven oder der realen Welt
angesiedelt. Die meisten Charaktere sind zwiespältig, neigen sowohl zu guten
Taten als auch zu hinterhältigen Aktionen. Politik wird hier gnadenlos als
Machtpolitik beschrieben und nie beschönigt. Martin hat sich von historischen
Ereignissen inspirieren lassen, wie den englischen Rosenkriegen im 15.
Jahrhundert. Und der Thronkampf der Häuser Lannister und Stark in den Romanen
zeigt auch deutlich Grundzüge des historischen Konflikts zwischen den Häusern
Lancaster und York - wenngleich Martin nur die Grundelemente nimmt und die
eigentliche Handlung völlig anders und eigenständig ist.
Die Bücher erfreuen sich seit Jahren wachsender Beliebtheit, absolut zu Recht.
Die erfolgreiche Fernsehserie "Game of Thrones", die auf den Romanen
basiert, hat die Reichweite der Buchserie noch einmal erheblich gesteigert.
Allerdings mag die umfangreiche Haupthandlung Neueinsteiger vielleicht auch
abschrecken. Wer weiß, ob einem diese düstere Welt zusagt, in der zwar Liebe
und Freundschaft eine Rolle spielen, aber ein glückliches Ende nie wirklich in
Sicht ist. Für diese Leser ist der nun erschienene Band die Gelegenheit, einmal
in diese Welt einzutauchen.
"Der Heckenritter von Westeros" vereinigt drei Kurzgeschichten Martins
(Der Heckenritter, Das verschworene Schwert, Der geheimnisvolle Ritter), die in
Westeros spielen, aber gut 100 Jahre vor der Haupthandlung in der Buchreihe. Die
Kurzgeschichten, zwei von ihnen sind bereits in anderen Sammelbänden
erschienen, haben ihren ganz eigenen Reiz. Sie spielen in einer Zeit, in der das
Haus Targaryen noch fest an der Macht ist, andererseits zeichnen sich bereits
neue Konflikte ab. Ein erst wenige Jahre zuvor beendeter Bürgerkrieg spielt
hierbei eine entscheidende Rolle, doch mehr sei hier nicht verraten.
Die Kurzgeschichten sind viel stärker als die Haupthandlung fokussiert und die
Handlung ist nicht so verzweigt wie in den Büchern. Sie schildern die
Geschichte des aus armen Verhältnissen stammenden Knappen Dunk (Duncan), der
nach dem Tod seines Herren die Chance ergreift und selbst als Ritter auftritt,
was leichter gesagt als getan ist. Heckenritter sind Soldritter, die keinem
festen Herren dienen, keinen besonders guten Ruf genießen, aber dennoch
militärisch gebraucht werden. Dunk ist groß, stark und eigentlich recht
gutherzig, doch nichts davon scheint den Erfolg zu garantieren. In der ersten
Geschichte lernt er den Jungen Ei kennen, der ihn später als Knappe begleitet -
und, was die Leser bereits am Ende der ersten Kurzgeschichte erfahren, weit mehr
als nur ein scheinbarer Straßenjunge ist.
Dunk und Ei könnten kaum unterschiedlicher sein. Ei ist im Gegensatz zu Dunk
gebildet und besitzt einen scharfen Verstand und eine noch schärfere Zunge,
doch beide verbindet bald schon eine enge Freundschaft, die sogar Auswirkungen
auf die eigentliche Haupthandlung in den Romanen hat (als Hinweis: im sechsten
dt. Roman liest Jaime Lannister im weißen Buch der Königsgarde - und dort
erfährt man auch, was aus Dunk wurde). Zusammen reist das ungleiche Paar durch
die sieben Königslande, die alles andere als sicher und idyllisch sind; zu
Beginn jeder der drei Kurzgeschichten wird der Leser denn auch gleich mit einem
Toten konfrontiert.
Fazit
"Der Heckenritter von Westeros" versammelt drei sehr lesenswerte
Kurzgeschichten, die nicht nur in einer interessanten Welt spielen, sondern im
Grunde immer auch Bezug auf die "reale Welt" nehmen. Es geht um
Loyalität und Freundschaft, um Politik und Macht. Wer also sonst nichts mit
"Fantasy" anfangen kann, sollte trotzdem einen Blick riskieren, es
lohnt sich. Für alle anderen bietet der Band auch eine neue Perspektive auf
Martins Welt, 100 Jahre vor Beginn der Haupthandlung. Die Übersetzung ist
weitgehend gut, die nun vollständig eingedeutschten Namen halte ich allerdings
nicht immer für gelungen. Dennoch: Ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen -
der einzige Schwachpunkt ist, dass Martin noch Ewigkeiten brauchen wird, bis
wieder drei Kurzgeschichten von Dunk und Ei gesammelt werden können. Man soll
die Hoffnung nie aufgeben, aber wie heißt es in den Romanen doch gleich: Valar
morghulis.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 14. Oktober 2013 2013-10-14 14:06:36