Im Schatten des Krans im Hafen von Hamburg spielt sich das Leben derer ab, die
durch die Schiffahrt Arbeit, Brot und Verdienst haben. Der Alltag ihres Daseins
ist geprägt vom Handel über die Weltmeere hinweg, von Ladungen und
Transporten, gewichtigen Gütern und ihren Beförderungen, die stets mit hartem
Arbeitseinsatz der Menschen unter Überwindung der Naturgewalten geleistet
werden mussten. Und eben dieser Kran, der durch den großen Brand zerstört
worden war, soll 1845 durch einen modernen, eisernen Schwergutkran aus England
ersetzt werden. So planen es Reeder und Kaufleute, die fortschrittliche
Erleichterung für das Löschen und die Beladung der Lastschiffe davon erwarten.
Ein vehementer Gegner dieser Anschaffung ist der Werftbesitzer Elbrand, der sich
für eine hölzerne Hebemaschine einsetzt und zur Durchsetzung dieses Plans
sicherlich wohl auch seine sehr guten Kontakte zur Regierung spielen lassen
würde.
Doch eines Nachts wird Elbrand ermordet aufgefunden. Ein Volontär des
Handelshauses Schröder & Westfalen, der junge Engländer Roger Stove, der aus
seiner Ablehnung dieser Hebemaschine kein Hehl gemacht hatte, gerät nun in
Verdacht und wird erst einmal festgesetzt. Der Kontorlehrling Moritz Forck, der
dort seine Lehre absolviert, glaubt fest an die Unschuld seines Kollegen, den er
einer solchen Tat nicht für fähig hält und versucht auf eigene Faust, den
Mörder aufzuspüren und dingfest zu machen. Mit jugendlich-unbedachtem
Draufgängertum, durch das er auch seiner angebeteten Cäcilie imponieren
möchte, lässt er sich auf ein lebensgefährliches Unterfangen ein, das ihn in
den düsteren, verrufenen Gassen des Gängeviertels in höchste Gefahr
bringt.
Jürgen Rath hat einen interessanten Roman geschrieben. Durch seine akribischen
Recherchen und ein angehängtes, erklärendes Glossar, schafft er es wunderbar,
ein Bild der damaligen Zeit zu malen. Er nimmt den Leser mit nach Hamburg, in
die Stadt, die damals schon als Metropole für den Handel ein Tor zur Welt
bedeutete. Die dort ansässigen Menschen waren nahezu alle auf ihre Art mit
diesem Umschlagplatz der Waren verbunden. Sie führten ihre Kontore in
Handelshäusern, waren Erbauer seetüchtiger Schiffe, die auf ihren Routen die
ganze Welt erreichten und das geschäftliche Leben prägte die vornehme
Gesellschaft ebenso wie es dem Alltag jener einfachen Leute einen Stempel
aufdrückte, deren arbeitsgewohnte Hände dafür sorgten, dass auch die niederen
Tätigkeiten erledigt wurden.
Durch diese Milieustudie zieht sich ein roter Faden - die Aufklärung des Mordes
am Werftbesitzer Elbrand. Unmerklich, jedoch auf sehr intensive Art, erfährt
der Leser soviel Wissenswertes über die Hamburger Gesellschaft, die sich um das
Jahr 1845 unter dem Kran, der als Wahrzeichen den Hafen überragte, in den ihr
eigenen Gepflogenheiten und Sitten etabliert hatte, dass der Kriminalfall fast
ein schmückendes Beiwerk geworden ist. Faszinierend finde ich, dass man als
Leser trotzdem gefesselt ist und es nicht vermisst, dass die kriminalistische
Spannung ein wenig entzerrt wird. Ob man das Buch nun als historischen
Kriminalroman oder als ein Gesellschaftsbild mit kriminalistischen Ambitionen
betrachtet, es ist eine unterhaltsame Lektüre, flüssig und spannend erzählt,
ein bunter, höchst authentisch vermittelter Geschichtsrückblick mit lebendig
wirkenden Protagonisten als Spiegelbild der Gesellschaft. Professionell und gut.
Fazit
Eine besondere Lektüre, die sich aus dem oftmals üblichen Angebot von
Kriminalromanen heraushebt. Ein excellenter Nachfolger für
"Nordhörn", das Erstlingswerk von Jürgen Rath.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 09. Oktober 2013 2013-10-09 23:03:37