Harry Potter fesselt die Welt, Kinder und Erwachsene lesen die Werke von
Joanne K. Rowling. Nur eine macht
sich Gedanken: Gabriele Kuby, Soziologin und Schriftstellerin. In ihrem Buch
"Harry Potter - gut oder böse" wirft sie Rowling vorabberechnete
Beeinflussung vor. Angeblich vermittle sie ihren Lesern eine falsche
Wertewelt.
Aus ihren zehn Argumenten
gegen Harry Potter, deren Vervielfältigung
ausdrücklich erwünscht wurde, zitiere ich: "Hogwarts, die Schule für
Zauberei und Hexerei, ist eine geschlossene Welt der Gewalt und des Grauens, der
Verfluchung und der Verhexung, der Rassenideologie und des Blutopfers, des Ekels
und der Besessenheit. Es herrscht eine Atmosphäre ständiger Bedrohung, die
sich auf den (jungen) Leser überträgt." Was für eine Liste an
Bösartigkeiten! Zwar hat Kuby in dieser Aufzählung nur die Fakten der Handlung
kurz zusammengefasst, aber der Leser merkt schon hier, worauf sie letztendlich
hinaus will. Die Frage im Titel lässt eigentlich vermuten, dass man sich auf
eine sachliche Diskussion einlässt, ob Potter nun gut oder böse ist, für Kuby
steht aber ab der ersten Seite fest, für welches Argumentationsziel sie sich
entscheidet: Potter ist böse.
Durch ihre anfängliche Entscheidung gegen Potter und gegen Rowling - sie hält
die Begriffe für ersetzbar, wie man an Seite 16 sieht: "Fragen wir also:
Welche Werte vermittelt Harry Potter? Was ist seine Botschaft? Was ist seine
Methode? In welche Richtung bewegt Potter die Gesellschaft? Statt Potter könnte
hier auch Rowling stehen, denn Potter ist die Schöpfung ihrer
abgründigen Phantasie." - ist das Buch sehr einseitig geschrieben.
Ganze 160 Seiten hat sie mit ihrem Gejammere gefüllt und behauptet doch glatt,
es gebe auf den bisher 2.800 Seiten keine Szene, die eine positive, gesunde,
fröhliche, hoffnungsvolle Qualität habe (S. 20). Dabei behauptet sie auf der
vorherigen Seite doch noch, die Potter-Bücher gründlich gelesen zu haben, um
"die Zeichen der Zeit zu erkennen". Ich weiß nicht, welche Bücher
sie da gelesen hat, aber ich erinnere mich ohne großes Nachdenken an die
freudigen Szenen, die Harry bei der Ankunft in Hogwarts erlebt. Oder - ja, ich
habe doch nachgeschlagen - in Band 4, "
HP und der Feuerkelch". Harry
wird von den Weasleys zur Quidditch-Weltmeisterschaft eingeladen und erhält die
Erlaubnis seines Onkels Vernon.
Weiter heißt es auf Seite 20: "Alle Türen öffnen sich zu immer neuen
Kammern des Schreckens." Was erwarten Sie, Frau Kuby? Dass sich alles in
eine rosarote Welt mit Kuscheltieren auflöst? Warum soll Kinderliteratur denn
immer nur ein übermäßig positives und damit weltfremdes Bild vermitteln,
warum soll den Kindern nicht gezeigt werden, dass man manchmal auch vor
schwierigere Probleme gestellt werden kann?
Zum Schluss möchte ich Kubys negativen Argumenten zumindest zwei positive
gegenüberstellen, die Kuby nicht bzw. falsch untergebracht hat. Das erste:
Kinder lesen wieder. Sie hat den Punkt zwar auf Seite 15 untergebracht, schlägt
aber gleich wieder zurück, dass Potter in Frage zu stellen sei. Ich halte es
schon für gut, dass Kinder wieder lesen. Sie finden Spaß an einem Buch und
regen ihre Freunde dazu an, es ebenfalls zu lesen - was will man mehr?
Und zweitens haben die jungen Leser wieder ein Thema gefunden, über das sie
gemeinsam reden können. Nach Pokémon-Karten, die stark das Geld aus den
Taschen gezogen haben, und egoisierenden Tamagochis haben sie nun ein Buch vor
sich liegen, in dem sie gemeinsam lesen können, über das sie sich Gedanken
machen.