Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle hat sich mit diesem Roman der
Geschichte zweier Familien angenommen, die auf der kleinen Pazifikinsel San
Miguel vor der kalifornischen Küste lebten. Aufmerksam geworden auf diese
Geschichte ist er während seiner Recherchen zu dem vorhergehenden Roman
"Wenn das Schlachten vorbei ist". Mit den beiden nacherzählten
Familiengeschichten, die in unterschiedlichen Epochen spielen, die erste im 19.
Jahrhundert und die zweite 50 Jahre später im 20. Jahrhundert, nimmt sich Boyle
dem Phänomen des immer weiter nach Westen strebenden Pioniers an. Wir finden
den über 400 Seiten starken Roman in drei Teile untergliedert vor. Die ersten
beiden Teile, die um 1880 spielen, sind der Familie Waters gewidmet. Der dritte
Teil rückt dann in die Zeit ab 1930 vor, ragt bis weit in den Zweiten Weltkrieg
hinein und erzählt die Geschichte der Familie Lester. Die kleine Kanalinsel,
auf die die beiden Familien ziehen, ist geprägt von kargem Land. Kaum
Vegetation ist lediglich Schafzucht in diesem minimalistischen Lebensraum
möglich. Der Autor stellt zu Recht die Frage, was bewegte diese Menschen, auf
diese Insel zu ziehen. Während Marantha Waters und ihre Tochter Edith nur dem
Ruf von Maranthas Ehemann folgen und das Gefühl haben, auf der Insel wie in
einem Gefängnis zu leben, geht Elise Lester mit ihrem Mann aus freien Stücken
auf die Insel und lebt sehr gerne auf dieser Insel.
Beide Familien haben tatsächlich existiert und es liegen Dokumente über deren
Leben auf der Insel vor. Das besondere Verdienst Boyles ist es, die real
existierenden Familien in eine fiktive Handlung eingebettet zu haben, um sie
plastischer vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen. Erst durch
die Handlungen und Dialoge, wie sie nur in einem fiktiven Roman, zudem von einem
wortgewandten Schriftsteller wie T. C. Boyle und seinem präzise und ebenso
wortgewandten Übersetzer Dirk van Gunsteren machen die Verhältnisse und das
Leben auf dieser Insel spürbar. Auch die Herausarbeitung von Figuren, wie sie
vom Schriftsteller bezeichnet werden, sind nur in einer fiktiven Geschichte
möglich. Dies macht die Charakterstudien der beiden Familien äußerst
lesenswert.
Wer mit dem Roman jedoch ein spannendes Abenteuer wie "Drop City" oder
"Amerika" erwartet, der wird enttäuscht werden. Harte
Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen zwei Menschengruppen stehen nicht im
Vordergrund. Wohl aber eben solch harte Konflikte zwischen den Bewohnern dieser
Insel und den Naturgewalten. Diese brechen herein in Form von Stürmen, in Form
des Zweiten Weltkrieges, in Form von Krankheiten. Mit San Miguel kann man sich
einlassen auf einen eine historische Fiktion. Es besticht durch die vom Autor
gewohnten präzisen Charakterstudien und detailreichen Beschreibungen der
Landschaft, die Heimat des Inselfuchses ist, der nur auf dieser und fünf
anderen kleinen Kanalinsel lebt.
Fazit
Obwohl das Leben auf dieser Insel einem Abenteuer gleicht, ist der Roman kein
Abenteuerbuch und man muss sich auf den Inhalt einlassen. Nichtsdestotrotz ist
es hervorragend geschrieben und hat meine volle Punktzahl verdient. Ich freue
mich auf ein Treffen mit dem Autor, wenn er in den nächsten Wochen durch
Deutschland lesetourt.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 30. August 2013 2013-08-30 16:46:06