Als Ricarda Ben begegnete, beneidete sie ihn glühend, weil er schon zur Schule
ging und sie erst ein Kita-Kind war. "Warum weinst du denn, kleine
Prinzessin?", hatte Ben Ricarda gefragt. Dieses Zusammentreffen war der
Beginn einer engen Kinderfreundschaft. Ben lebt allein mit seiner deutschen
Mutter, zu seinem Vater in der Türkei hat er keinen Kontakt. Ricarda sucht so
oft wie möglich die Herzlichkeit von Bens Mutter, die sie selbst zu Hause
vermisst. Doch die Freundschaft mit Ben wird durch den Tod von Bens Mutter
abrupt beendet. Noch am Tag von Lolas tödlichem Unfall schickt das Berliner
Jugendamt Ben überstürzt zu seinem Vater in die Türkei, ohne dass die Kinder
ihre Adressen austauschen können.
Als Schülerin einer 10. Klasse nennt sich Ricarda inzwischen Ri und erlebt
gerade den schlimmsten Durchhänger, den man sich vorstellen kann. Am liebsten
würde Ri sich fort von allen Schulproblemen und Elternansprüchen
zurückträumen in ihre Kindheit mit Ben. Kurz vor Weihnachten glaubt Ri, Ben
wieder in Berlin gesehen zu haben. Das kann nur ein Traum sein! Doch das
parkende Auto, auf dessen Seitentür Stern und Mond gemalt wurden, ist kein
Traum. Stern und Mond trugen die Kinder damals als Symbole ihrer Freundschaft
als Schlüsselanhänger. Völlig auf die Suche nach Ben konzentriert, wird Ri
vom eskalierenden Konflikt mit ihren Eltern kurz vor den Feiertagen endgültig
aus der Bahn geworfen. Doch wer hätte gedacht, dass Stern und Mond sie und Ben
wieder zusammenführen könnten.
Das düstere Buchcover, hinter dem ich keine Erlebnisse einer Fünfzehnjährigen
vermutet hätte, verbirgt die gefühlvolle Geschichte einer platonischen
Freundschaft. Wer die eigene Pubertät nicht völlig verdrängt, wird sich in
Ris winterliche Depression und ihr Abtauchen in das Glück vergangener Jahre
gut einfühlen können. Ri durchlebt krasse Wechsel zwischen Realitätsflucht
und erstaunlicher Einfühlung einer Pubertierenden in ihre Eltern zurück zu
einer lebensfremden Phase, in der das Mädchen sein Elternhaus verlässt ohne
einen Gedanken an die Finanzierung ihres Lebensunterhalts zu verschwenden. Ris
Probleme wären auch ohne den überzeichneten Gegensatz zwischen forderndem
Vater und schwacher Mutter nachvollziehbar. Als Kind, das eine Berliner Kita
besucht, fällt die Figur der kleinen Ricarda durch ungewöhnliche
Dialektausdrücke auf, die sie wie ein erst frisch nach Berlin gezogenes Kind
wirken lassen. Ris Charakterisierung wirkt dadurch inskonsequent. Die
angedeutete Fremdheit der Familie in Berlin wird nicht weiter vertieft. Anstatt
wie in dieser Geschichte den jugendlichen Figuren eine Problemlösung durch den
erwachsenen Freund zu präsentieren, würde ein Jugendroman glaubhafter wirken,
wenn die Protagonisten den ersten Schritt zur Lösung ihrer Probleme selbst tun
könnten. Die Atmosphäre am Ende des Buches könnte für sich wirken, ohne dass
die Autorin ihr Fazit mit spürbarer pädagogischer Absicht betonen müsste.
Vor der Neuauflage des Buches (das zuvor in einem Druckkostenzuschuss-Verlag
erschien) hätte Diana Raufelder einen kritischen Blick auf überflüssige
Adjektive, Wortwiederholungen und die Erzählperspektive werfen sollen.
Fazit
Ein gefühlvoller, flüssig lesbarer Romanerstling über eine platonische
Freundschaft, der durch eine Überarbeitung des Texts noch gewinnen würde.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 02. Juni 2013 2013-06-02 12:22:58