Die alleinerziehende Lehrerin Brissa Wudy ist nach einem Unfall auf einen
Rollstuhl angewiesen. In ihrem Buch Schiffbruch erzählt sie von diesem
lebensumwälzenden Geschehen.
Was mich gleich eingangs sehr berührt hat, ist eine Form der Demut, die man
eher selten erlebt. Wudy bedankt sich für all das Gute, das ihr seither
widerfahren ist. Für Dinge, von denen sie weiß, dass sie nicht
selbstverständlich sind. Dies und der Untertitel ... und das Leben ist doch
vollkommen deuten bereits das an, was sich im Buch noch genauer
herauskristallisiert: Brissa Wudy hat sich von den Folgen ihres Unfalles nicht
unterkriegen lassen. Das heißt nicht, dass sie nicht mental zu Boden gegangen
ist. Auch wenn sie es nicht explizit schreibt, spürt man es mehrfach zwischen
den Zeilen. Doch sie hat sich jedes Mal wieder aufgerichtet.
Da sie in ihrem Buch überwiegend auf die Zeit nach dem Unfall eingeht, kann man
sich nur ausmalen, wie stark ihre Persönlichkeit, wie groß ihre Lebenslust
oder wie ausgeprägt ihr soziales Engagement zuvor gewesen sein muss. Und in
diesem Bereich hat sie keine Lähmung erfahren. Allerdings musste sie ihre
Grenzen neu kennenlernen und definieren.
Schiffbruch ... und das Leben ist doch vollkommen liest sich sehr flüssig,
obwohl das Geschriebene nicht immer leicht und auch nicht konsequent linear
aufgebaut ist. Die Autorin erzählt zum einen die fiktive Geschichte einer
Gruppe Gestrandeter. Die pflegt auf einer einsamen Insel nicht nur ihre Wunden,
sondern hält ebenso nach dem Leben außerhalb der Insel Ausschau, wie sie
versucht, Gegebenes zu akzeptieren. Dabei wechselt Wudy die Perspektiven, lässt
ihre LeserInnen immer wieder aus der Sicht eines anderen Schiffbrüchigen an den
Ereignissen dort teilnehmen. Das Bild der einsamen Insel, die Machtlosigkeit der
Gestrandeten nach dem Schiffbruch, ihre Sorgen, Nöte und Ängste aber auch ihre
zarten Hoffnungen korrespondieren synonym mit dem, was Wudy zum anderen über
sich selbst schreibt.
Wer eine autobiografische Erzählung über die erlittenen Verletzungen und die
daraus resultierenden Behandlungen und expliziten Spätfolgen, erwartet, wird
sehr schnell mit etwas anderem überrascht. Mit Wudys deutlich spürbarer
spiritueller Einstellung etwa oder ihren philosophischen Betrachtungen
verschiedener Dinge. Genauere Schilderungen über die Folgen ihrer Lähmung im
täglichen Leben gehen darüber fast unter. Eher beiläufig erfährt man, wie
sie nach einem Umzug in eine eigentlich barrierefreie Wohnung vom zuständigen
Architekten hören muss, dass sie doch bloß aufstehen und wenige Schritte gehen
muss, um in die überhaupt nicht barrierefreie Dusche zu gelangen. Nur ganz
zaghaft blitzen solche Erlebnisse auf und werden sofort von etwas anderem
übertüncht.
Verdrängung? Dieser Verdacht drängt sich durchaus auf. Manches im Buch kam mir
zu distanziert vor. Fast, als ob Wudy sich selbst keinen genaueren Blick auf
bestimmte Gedanken gestatten würde. Doch wesentlich öfter offenbart sich die
Stärke einer Frau, die gelernt hat, sich in Krisenzeiten einem Schilfrohr im
Sturm gleich bis zum Boden zu neigen und dann wieder aufzurichten. Allenfalls
geknickt, aber nicht gebrochen. Die ihre Lebensfreude trotz allem nicht
verliert, weil neben ihr auch ihre Freunde und Verwandten sie weiterhin als Frau
und Mutter und nicht nur als Behinderte sehen. Genauso bezeichnend wie
berührend fand ich in diesem Zusammenhang, dass sie dank und mit einer Freundin
zu einer Bauchtanzgruppe stieß und ihre Freude am Tanzen wiederfand.
Wudy beschränkt sich in ihrem Buch aber nicht nur auf das Schildern ihrer
Erlebnisse bzw. ihrer Reaktionen und Gefühle darauf. Sie macht sich auch
Gedanken um andere. Versucht sich in diese im Bezug auf ihre eigene körperliche
Einschränkung hineinzufühlen. Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen zu
finden, ohne diese zu verurteilen. Gleichzeitig sieht sie immer noch andere
Männer und Frauen, denen es offensichtlich deutlich schlechter geht als ihr
selbst. Auch an den sich daraus ergebenden Gedanken lässt die Autorin ihre
LeserInnen teilhaben.
Fazit
Man merkt dem Buch an, dass es geschrieben werden musste. Zur Bewältigung des
Erlebten. Dennoch entstand auch ein Buch über den Wert einer positiven
Lebenseinstellung. Eines, das den eigenen Blick auf das persönliche Umfeld
verändern kann. Ein Buch, das zeigt, dass ein Schiffbruch im Leben nicht das
Ende sein muss. Und dass neue (Lebens-)Wege, so unbekannt und erschreckend sie
auch erscheinen mögen, immer noch Wege sind, die es sich zu beschreiten lohnt.
Von einer Autorin, der ich an dieser Stelle und von ganzem Herzen weiterhin so
viel Kraft und Lebensfreude wünsche.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 29. März 2013 2013-03-29 18:29:31