Die Aufmachung des Buches und die Covergestaltung passen in den
Romantic-History-Zweig des Verlages. Das ornamentale Motiv setzt sich, gewohnt
liebevoll, im Buch fort. Die Grundidee der Geschichte klingt nicht schlecht,
wenn sie natürlich auch keinen bahnbrechend neuen Plot enthält.
Clarissa soll verheiratet werden. Nach einem Skandal in ihrer Jugend wird sie
jetzt erneut auf die Londoner Gesellschaft losgelassen und stolpert nahezu blind
in fast jedes Fettnäpfchen, das sich ihr fatalerweise in den Weg stellt. Nur
einer - Adrian - lässt sich davon nicht stören bis es (deshalb lesen wir
solche Bücher ja schließlich) nach einigen Verwirrungen zum Happy End kommt.
Laut Romantic Times hält man mit Liebe auf den zweiten Blick einen humorvoll
prickelnden Roman in Händen, den man so schnell nicht mehr vergisst. Auch die
positiven Stimmen in diversen Portalen bzw. Online-Shops lassen darauf
schließen, dass das Buch unterhaltsam-leicht und erotisch angehaucht sein muss.
Die perfekte Entspannungslektüre also. Gleich vorab: Das Zitat stimmt
definitiv.
Unkonventionelles Denken und Handeln erwarte ich in solchen Geschichten, sorgt
es doch in der ansonsten eher steifen Gesellschaft voll heute seltsam anmutender
Verhaltensregeln für leichte und entspannende Unterhaltung. Beide Hauptfiguren
sind nicht perfekt. Adrian ist durch eine Narbe entstellt, was ihm Komplexe
beschert, die ihn trotz selbstbewusster Anwandlungen unsicher sein lassen.
Clarissas Sehschwäche wiederum bietet Platz für ihre weibliche Hilflosigkeit
und darüber hinaus für romantische Aktionen seitens Adrian (Picknick,
Vorlesen, etc.) Nicht zu vergessen natürlich amüsant angehauchte Szenen. Da
wäre zum Beispiel eine Passage, in der Adrian in Clarissas Zimmer einsteigt und
die beiden sich näher kommen. Dummerweise bricht zu der Zeit ein Feuer aus.
Clarissa bekommt es mit und ist, sowohl von Adrians Aktionen durch das Feuer als
auch umgekehrt vom Feuer durch Adrian abgelenkt, in einem kleinen Zwiespalt.
Oder die Vergleiche, die ihre Stiefmutter bemüht, während sie Clarissa über
die anstehende Hochzeitsnacht aufklärt.
Doch: Unterhaltung und Amüsement halten sich in sehr engen Grenzen und
bedauerlicherweise fiel mir das Umblättern relativ schnell schwer. Obwohl ich
mir immer sage, dass ich Bücher eines Autoren, die nicht in eine Buchreihe
gehören, nicht miteinander vergleichen möchte und sollte, habe ich genau das
bei Sands historisch angehauchtem aktuell vor mir liegenden Roman und ihrer
Buchreihe über die Argeneau-Vampire gemacht. Während mich besagte Buchreihe
mal mehr, mal weniger gut unterhielt, enttäuschte mich Sands Ausflug ins
historische Genre von vorne bis hinten. Kleiner Tipp (auch wenn mir das nicht
passiert ist): Wer gerne in der Badewanne liest, sollte das Buch nicht dorthin
mitnehmen. Sands LeserInnen laufen damit durchaus Gefahr, entnervt oder
frustriert die Hände sinken oder ins Wasser platschen zu lassen, was sich
sowohl auf E-Book-Reader wie auch auf gedruckte Bücher negativ auswirken kann.
Das liegt zum einen an unsäglichen Wiederholungen. Spätestens nach dem dritten
Mal habe ich kapiert, warum Clarissa so schlecht sieht. Sands wollte jedoch
anscheinend sichergehen, dass auch wirklich alle LeserInnen es begreifen und
legte noch etliche Male nach. Leider drehten sich die Wiederholungen auch nicht
nur um Clarissas Sehschwäche. Dazu gesellen sich vermutlich witzig angedachte
Redewendungen und Übertreibungen, die mir persönlich allerdings eher albern,
dröge oder deplatziert vorkamen. Es gibt zahlreiche Klischees, die durch
Übertreibungen verstärkt werden. Die Mithilfe bzw. Nachsichtigkeit von Adrians
Mutter oder Clarissas Vater wirkt überzogen wohlwollend. Mag ja sein, dass
dazumal nicht alle Earls und Peers und sonstiger Adel absolut verknöchert und
sittenstreng waren, aber das war dann doch zu viel.
Zum anderen lag es auch an der völlig unpassenden Sprache sowie flapsigen
Verhaltensweisen, die für mein Dafürhalten nicht in die damalige Zeit
beziehungsweise das Genre passen. Ich kann mir nicht so recht vorstellen, dass
man damals schon davon sprach oder darüber nachdachte, wie jemand auf ein
schiefes Brett kommt. Oder sich als feige Socke bezeichnete. Oder sich nicht die
Bohne kümmerte. Auch Worte wie Nasenfahrrad wirken zu modern und bums, öhm
oder nee passen zudem für mich eher in die Blubbersprache eines Comics.
Noch deplatziertere Formulierungen fand ich in diversen Sexszenen. Hier war
unter anderem die Vielfalt an Bezeichnungen männlicher Geschlechtsteile
bisweilen nervtötend albern. Obwohl ich davon ausgehe, dass in damaliger Zeit
niemand seine Bedürfnisse durch die Rippen schwitzte, erwarte ich unabhängig
davon in einem historischen Liebesroman aber eher Liebesszenen und Andeutungen.
Letztere wirken oft wesentlich erotischer als die teils platten, stellenweise
aber auch hölzern wirkenden Beschreibungen, die man in Liebe auf den zweiten
Blick findet. Egal ob es sich um Schilderungen von Oralverkehr handelt oder
Begriffe wie Freudenspender die in heiße Grotten geschoben werden.
Und das ist insgesamt betrachtet auch noch lange nicht alles.
Oberflächlichkeiten und Denkfehler finden sich ebenfalls. Dabei war es am
harmlosesten, dass Clarissa mit immerhin 24 permanent als Mädchen bezeichnet
wird. In diesem Alter lief man dazumal wohl eher Gefahr, als alte Jungfer
tituliert zu werden. Besagtes Mädchen ist zwar anscheinend fast blind, sieht
aber bestimmte Dinge problemlos, je nachdem wie es der Autorin gerade in den
Kram passt. Mal lächelt sie in die ungefähre vermutete Richtung eines
Gesprächspartners, hat aber keine Mühe, dessen Gesichtsausdruck zu deuten. Das
klappt allerdings nicht immer, denn in etlichen anderen Szenen, kann sie
besagten Ausdruck dann doch nicht erkennen. Sie stellt heißen Tee auf einem
Oberschenkel ab, weil sie einen Tisch hinter dem Umriss vermutet, hat aber keine
allzugroßen Probleme visuell die amourösen Abenteuer eines Verehrer zu
verfolgen. Vom Klarblick auf den gut gebauten und exemplarisch ausgestatteten
Adrian ganz zu schweigen. Ihre Kurzsichtigkeit scheint zur Weitsichtigkeit zu
mutieren und andersherum. Außerdem stelle ich es mir in einer Zeit ohne Fön
schwer vor, eine ansprechende Frisur für einen Ball zu kreieren, nachdem die
Person, die ich frisieren muss, zuvor bewusstlos in einem Brunnen lag und
besagter Ball längst begonnen hat. Mit Umziehen alleine dürfte es wohl nicht
gelungen sein, sowohl die dabei entstandene Verletzung als auch die nassen Haare
zu vertuschen, damit nicht auffällt, wo Clarissa war. Ebenso wenig glaube ich,
dass es zu dieser Zeit so einfach war, an eine Brille zu kommen, wie die Autorin
es letztendlich beschreibt.
Wäre die Geschichte auf 50 Seiten komprimiert worden, hätte man vermutlich
eine lustig-unterhaltsame Erzählung daraus machen können. So jedoch zieht sich
eine künstlich aufgeplusterte Story zu einem rosarot angehauchten Ende. Das
passt zwar durchaus im Bezug auf Adrian und Clarissa. Hinsichtlich des von der
der Autorin eingeflochtenen Handlungsstrangs, der Clarissas Tollpatschigkeit
teilweise in Anschläge auf sie umwandelt, wirkt es jedoch langatmig. Was von
der Autorin als Verwirrspiel auf der Suche nach einem bösen Widersacher
angelegt wurde, entwickelt sich sehr vorhersehbar und überaus konstruiert,
bevor es weich gespült und wie erwähnt rosarot angehaucht endet. Adrians ach
so scharfer Verstand übersieht dabei hanebüchen offensichtliche Dinge oder
vergisst sie schlicht und ergreifend, während Clarissa einen Oskar für ihre
Rolle als naives Dummchen verdient hat.
Fazit
Fazit:
Obwohl ich keinen hochgeistigen Roman mit geschichtlich belegten Fakten erwartet
habe, hat mich Liebe auf den zweiten Blick nicht nur nicht gefesselt, sondern
komplett enttäuscht. Insgesamt möchte ich nur 2 von 10 Punkten dafür
vergeben. Romantic Times hatte wirklich recht. Das kann man nicht einfach so und
schnell vergessen. Darf man auch gar nicht, wenn man wie ich dazu neigt, Bücher
nicht abzurechen, weil viel Arbeit darin steckt und man immer die Hoffnung hegt,
dass es doch noch besser werden muss. Diese Hoffnung hat sich bei diesem Roman
definitiv nicht erfüllt. Übertreibungen an sich bereits vorhandener Klischees
und die falsch wirkende Sprache rauben das letzte bisschen Lesefreude, das
angesichts der guten, aber schlecht umgesetzten Grundidee aufkommen mag.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 23. Februar 2013 2013-02-23 15:11:20