Wilfried Loth, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Essen, ist
bereits mehrfach als Autor der neueren Geschichte und der Zeitgeschichte
hervorgetreten. Man denke nur an sein Werk über die DDR, "Stalins
ungeliebtes Kind" oder den kompetenten Überblick über die Geschichte des
Kaiserreiches von 1871-1914. 1998 erschien in der Reihe: 20 Tage im 20.
Jahrhundert" Loths umfassende Darstellung über die Geschichte des
Ost-West-Konfliktes, fokussiert am Thema der Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa von Helsinki 1975.
In 8 Kapiteln legt Loth eine kompetente, jedoch immer gut lesbare und an
erstklassigen, auch russischen Quellen, orientierte Darstellung der Geschichte
des Ost-West-Konfliktes von 1945 bis heute. Es ist bis heute die beste
Darstellung zu jenem Thema, welche ich kenne.
Im ersten Kapitel: "Zwischen Neutralisierung und Blockbildung" geht es
um die grundlegenden Entscheidungen der Nachkriegszeit, die Entstehung der
Blöcke NATO und Warschauer Pakt. Stalins Notenoffensive von 1952 wird
beleuchtet, wobei die Motive der westlichen Regierungen wie auch Adenauers, für
den eine Neutralisierung Deutschlands gleichbedeutend mit dem Auftakt zur
Sowjetisierung des Landes gewesen ist (S: 27) wie auch Stalins Motive -
basierend auf neueren russischen Quellen - deutlich gemacht. Die
unterschiedlichen Interessen ließen einen Erfolg dieser Offensive und eine
frühe Wiedervereinigung des Landes nicht zu. Ob Stalin das "Angebot zur
Neutralisierung" wirklich später aufrecht erhielt, wie Loth andeutet (S.
29) ist allerdings umstritten, zumal der Kremlherrscher im Frühjahr 1953 starb.
Durch seinen Tod kam es zu Bewegung in der Deutschlandpolitik, die insbesondere
- vielleicht etwas überraschend - auf sowjetischer Seite Berija, auf westlicher
Seite der erneut ins Amt gewählte britische Premierminister Churchill
verkörperten. Der Abtritt dieser beiden Protagonisten von der Weltbühne jedoch
scheiterten diese Bemühungen, auch der vielbeschworene "Geist von
Genf", ausführlich dokumentiert im Kapitel 2: "Entspannung im kalten
Krieg" konnte letztlich nicht von Dauer sein. Sie endete definitiv mit der
Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956. Kapitel 3 untersucht die Beziehungen
Chruschtschows zu Kennedy in der Zeit zwischen 1961 und 1963, der
krisenhaftesten Zeit der Ost-West-Beziehungen (siehe Kuba-Krise). Loth
orientiert sich dabei an dem Grundlagenwerk von Michale Beschloss: JFK: Die
Kennedy-Jahre 1960-1963, dem bis heute unübertroffenen Grundlagenwerk über
jene Jahre, den Loth auch als Quelle benennt und auf den er sich mehrfach
bezieht. Auch der Kuba-Krise wird ein Kapitel gewidmet. Die Quellen liegen heute
detailliert vor, zuletzt hervorragend zusammengefasst von Stefan Bierling in
seiner "Geschichte der amerikanischen Außenpolitik" 2003.
Chruschtschow setzte sich über Bedenken seines Politbüro-Kollegen Mikojan
hinweg, Kennedy konnte sich der "amerikanischen Öffentlichkeit als
entschlossener und zugleich verantwortungsvoller Verteidiger westlicher
Interessen präsentieren, während Chruschtschow blockintern nur wenig zur
Rechtfertigung seiner Aktion vorzuweisen hatte." (S. 101). Immerhin zeigte
die Kuba-Krise beiden Weltmächten, wie nahe sie der gegenseitigen nuklearen
Vernichtung gekommen waren. Dies durfte nie wieder geschehen. Insofern wurde die
Kuba-Krise auch "Geburtshelfer" der folgenden Entspannungspolitik bis
1979, beginnend mit dem Atomteststopp-Abkommen und der Installierung eines
"heißen Drahtes" zwischen dem Kreml und dem weißen Haus.
Der Fortgang der Geschichte der Ost-West-Beziehungen wird in den weiteren
Kapiteln nachgezeichnet. Höhepunkt der Entspannungspolitik war die Konferenz
von Helsinki am 01. August 1975. Doch diese Zeit endete spätestens mit den
Nato-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979. Am selben Tag beschloß das
sowjetische Politbüro den Einmarsch seiner Truppen in Afghanistan. Bereits zu
diesem Zeitpunkt - also noch unter Carter (vgl. Kapitel: "Carters
Kurswechsel", S. 203) war die Entspannungspolitik beendet, nicht erst seit
dem Amtsantritt von Ronald Reagan 1981. Die Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses
führte zum Abbruch der Mittelstrecken-Verhandlungen in Genf im November 1983.
Doch diese Konfrontation hatte beide Mächte in die Sackgasse geführt. Reagan
wollte 1984 wiedergewählt werden und hatte massiv aufgerüstet, und auch die
Moskauer Führung hielt, seit seine Wiederwahl abzusehen war (S. 230), nach
Gelegenheiten Ausschau, doch noch zu Vereinbarungen mit Reagan zu kommen.
Bereits unter Konstantin Tschernenko (Staats- und Parteichef der UdSSR
1984-1985) stimmte das Politbüro neuen Verhandlugnen über "nukleare und
Weltraumwaffen" zu. Doch erst das Auftauchen Gorbatschows führte zum Ende
des Ost-West-Konfliktes, zu neuer Entspannung und schließlich zur Auflösung
der Systemkonfrontation und des Ost-West-Konfliktes. Dies wird in Kapitel 8
ausführlich dargestellt.
In einer Bilanz wendet sich Loth gegen die weitverbreitete Auffassung, erst das
harte Auftreten des Westens in der Nachrüstungskrise und Reagans Kampfansage an
das "Reich des Bösen" habe die sowjetische Führung zum Einlenken
gezwungen. Bernd Stöver hat in seinem hervorragenden Werk: "Der kalte
Krieg" gut herausgearbeitet, dass ein komplexes Ursachenbündel zum Ende
des Ost-West-Konfliktes beigetragen hat. Loth bilanziert: "Nichts kann
falscher sein als diese nachträgliche Selbstbeweihräucherung hartnäckiger
Entspannungskritiker. Tatsächlich wich Gorbatschow nicht westlichem Druck, er
handelte vielmehr aus eigener Einsicht: Einsicht in die Unhaltbarkeit eines
Kommandosystems, das die Entfaltung der gesellschaftlichen Kräfte immer
stärker behinderte, Einsicht in die wachsende Kontraproduktivität
militärischer Machtentfaltung, Einsicht in die Dringlichkeit
blockübergreifender Friedenssicherung. Daß sich diese Einsichten an der Spitze
des Sowjetsystems durchsetzten, war die entscheidende Voraussetzung für die
Preisgabe der leninistischen Ideologie und den Rückzug der militärischen und
polizeilichen Macht des sowjetischen Imperiums." (S. 273).
Fazit
Diese Sicht teile ich und finde dieses Buch insgesamt die beste Darstellung des
Ost-West-Konfliktes zwischen 1945 und 1990, wobei der Autor sich bemüht, die
Sichtweisen der Akteure beider Supermächte angemessen zu würdigen und
darzustellen. Denn nur wer die Sicht beider Seiten kennt, kann die Geschichte
dieser Zeit mit größtmöglicher Objektivität darstellen. Dies ist dem Autor
meines Erachtens sehr gut gelungen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 24. November 2003 2003-11-24 19:49:12