Der Preis mit 17,41 € ist etwas ungewöhnlich. Aber das ist das im Zuge eines
Adventsgewinnspiels zu mir gekommene Buch zum Nachdenken und Staunen für
Jugendliche und Erwachsene von Christine Spindler auch. Und zwar im durchweg
positiven Sinn.
Die 1960 in Backnang geborene und in Auenwald lebende Autorin hat bereits mehr
als 40 Bücher geschrieben. Aus ihrer Feder stammen vorwiegend Kinderbücher und
Krimis. Teils veröffentlichte sie diese unter ihrem richtigen Namen. Dazu
zählen etwa die deutsch-englischen Lernschmöker von Langenscheidt Love Takes
Centre Stage - Bühne frei für die Liebe oder Love Takes a Detour - Liebe auf
Umwegen. Andere Veröffentlichungen erfolgten teils unter dem Kurznamen Chris
Spindler, ihrem Pseudonym Tina Zang oder (als Co-Autorin) dem Sammelpseudonym
Kris Benedikt. Bereits 2007 kam im Sieben-Verlag ihr Buch Winterleuchten auf den
Buchmarkt. Mond aus Glas ist eine inhaltlich teilweise überarbeitete Auflage
davon.
Das Cover zeigt ein junges, gleichermaßen traurig wie verloren wirkendes
Mädchen an einem Gewässer, über dem der Vollmond steht. Die Inhaltsangabe
erklärt gleich eingangs ihren Gesichtsausdruck, ist doch die Zwillingsschwester
der mittlerweile 16jährigen Luna zwei Jahre zuvor nach einer Tumoroperation
gestorben. Der Verlust und die Trauer drohen die Familie zu zerbrechen.
Abgesehen davon entdeckt Luna Veränderungen an sich, die sie sich nicht
erklären kann. Doch im Buch geht es nicht nur um sie. Auch Finn steckt gerade
in einer schwierigen Phase. Seine Eltern haben sich kürzlich getrennt und er
muss mit seiner kleinen Schwester und seiner Mutter in einer fremden Stadt einen
Neuanfang wagen. Das gestaltet sich vor allem deshalb etwas schwierig, weil der
gerade 18jährige Finn als Bluter von seiner Mutter ein Leben lang in Watte
gepackt, verhätschelt und isoliert worden ist. Dabei hat auch er Fähigkeiten,
die ihn von anderen unterscheiden. Luna und Finn lernen sich kennen, erkennen,
wie einzigartig sie sind, und verlieben sich ineinander.
Wer jetzt denkt, eine einfache Liebesgeschichte in Händen zu halten, irrt
allerdings. Denn Spindlers Geschichte ist weitaus mehr und wird von weiteren
Charakteren beseelt. Zwar verweist die Inhaltsaufgabe auf Luna und Finn, doch
erweisen sich Spindlers übrige Figuren als ebenso wichtig. Egal ob es sich um
Finns altkluge, kleine Schwester Motte handelt, die viel lieber bei ihrem Vater
leben würde aber nicht darf. Oder um seine überbesorgte Mutter Marianne, die
neben einem Alkoholproblem auch mehr als ein Geheimnis hat, oder Finns Vater
Rainer, der es mit der Treue nicht so ernst genommen hat - zwischen beiden sind
die Fronten verhärtet. Auch Lunas Mutter Vera, die Luna vernachlässigt, und
nur durch die Erkenntnis, dass Stella einem karrieresüchtigen, gewissenlosen
Arzt zum Opfer gefallen sein könnte, aus ihrer Depression gerissen wird, spielt
keine unbedeutende Nebenrolle. Ebenso wenig ihr Mann, Lunas Vater Urban, der
sich in seiner Trauer von Vera alleine gelassen fühlt. Die Ehe der beiden ist
erstarrt, droht wie gesagt zu zerbrechen. Da ist aber auch Lunas Tante Evi mit
einer leichten geistigen Behinderung, die sich nicht verstellen kann und die
ebenso auf die Familie angewiesen ist, wie diese auf sie. Sogar Lunas
Schulrektor, zwei Lehrer oder die Freundin von Vera sind nicht einfach nur
nebenbei erwähnte, nebensächliche Füllfiguren.
Alle sind wundervoll beschrieben, wirken authentisch (trotz der Erwähnung und
damit Komprimierung aller in einem Roman) und mehr oder weniger liebenswert.
Keiner davon wirkt wirklich alt oder jung, überaus erwachsen oder absolut
kindlich. Exzentrisch verschroben sind sie alle. Jeder hat Fehler und
Schwächen. Niemand ist perfekt, auch die verstorbene Stella nicht. Genau
dadurch wirken sie herrlich lebendig und man kann sich in alle hervorragend
hineinversetzen. Von Beginn an leidet man mit ihnen, lacht mit ihnen, fiebert
mit ihnen, wundert sich mit ihnen, hofft mit ihnen. Und wünscht ihnen, dass die
Geschichte trotz der tragischen Momente gut ausgeht.
In jedem Kapitel gibt es gleich mehrere Erzählstränge. Die Verknüpfung
mehrerer gleichberechtigter Handlungsfäden und Charaktere beinhaltet für viele
Autoren ungeahnte Stolperfallen und allzu häufig bleibt neben dem Lesefluss
auch der Lesespaß auf der Strecke. In Mond aus Glas wird beides jedoch Stück
für Stück unaufgeregt emphatisch in einer wundervollen gleichsam feinsinnigen
wie bildhaften Sprache von der Autorin miteinander verwoben.
Aufkommende Fragen finden sukzessive ihre Antworten. Diese wühlen auf, geht es
doch, abgesehen von dem von Spindler verarbeiteten fantastisch-märchenhaften
Element um grundsätzliche Dinge, die jeden von uns betreffen. Tod und Trauer
stehen der ersten Liebe ebenso gegenüber wie der, die schon seit Jahren
existiert. Ein Wust von Emotionen findet in Mond aus Glas Raum. Anklagen und
Schuldgefühle, Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Aber auch Freude,
Verzeihen und Zuversicht. Es geht um Loslassen und Festhalten. Um das
Am-Boden-Sein und darum, wieder aufzustehen. Um neue Blickwinkel und damit
verbundene Einsichten. Jedes der 31 Kapitel ist eingangs übrigens mit einem
Gedicht versehen, welches die Emotionen im Buch zusätzlich widerspiegelt.
Fazit
Ein absolut empfehlenswertes, berührendes und nachdenklich machendes Buch für
Jung und Alt. Eine genauso märchenhafte wie echt wirkende Geschichte, die zu
Tränen rührt, aufwühlt und zum Lachen animiert. Eine Geschichte, der ich die
volle Punktzahl geben möchte und die ich garantiert mehr als einmal lesen und
verschenken werde.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 31. Januar 2013 2013-01-31 12:34:12