Der zur Rowohltgruppe gehörende Kindler Verlag bietet seiner Leserschaft ein
breites Spektrum. So findet man im Verlagsprogramm sowohl Literarisches wie auch
Humoristisches, spannend oder charmant Erzähltes. Auch fantastische Zeitreisen
bleiben nicht außen vor. Mit Muh! nimmt David Safier seine Leserschaft
ebenfalls auf eine Reise mit. Allerdings handelt es sich dabei um keine
Zeitreise.
Der 1966 in Bremen geborene Journalist war zunächst beim Hörfunk und Fernsehen
tätig, bevor er ab 1996 erste Arbeiten als Drehbuchautor und Schriftsteller
ablieferte. So arbeitete er unter anderem als Hauptautor an Berlin, Berlin mit,
wofür er den Adolf-Grimme-Preis erhielt. Sein Buch zur Serie Mein Leben & Ich
bescherte ihm den Goldenen Spatz (MDR-Kinder-Film- und Fernsehpreis). In
Anlehnung an seinen 2007 erschienen Debütroman Mieses Karma gründete er eine
Stiftung. Wer eventuell sein eigenes Karma verbessern und Kindern etwas Gutes
tun möchte, sollte sich vielleicht auf der Stiftungsseite
www.gutes-karma-stiftung.de umsehen. Dass Safier mit seinem Debütroman kein
Onehit-Wonder-Autor geblieben ist, bewies er mit den ebenfalls in
Millionen-Auflage verkauften Folgeromanen Plötzlich Shakespeare, Happy Family
und dem demnächst ins Kino kommenden Jesus liebt dich. Auch im Ausland finden
seine Bücher Anklang.
Doch zurück zu Muh!. Dem voll kuhlen Buch, das gerade vor mir liegt. Mein
erster Safier-Roman, dessen Schutzumschlag mich bereits beim ersten Draufschauen
trotz eigentlich gar nicht vorhandener Ähnlichkeit an eine bestimmte Sorte
Karamellbonbons erinnerte und prompt Appetit auf die Dinger machte. Gut, dass
ich keine im Haus hatte. Erstens wäre der Verzehr derselben meinen Hüften
nicht gut bekommen und zweitens hätte ich mich womöglich während diverser
Schmunzel- und Lachattacken, die mich beim Lesen überkamen, verschluckt.
Für die, die noch nie von Muh! gehört haben: Im Buch geht es um die
ostfriesische Kuh Lolle. Etwas zu rund ist sie eigentlich ganz zufrieden mit
ihrem Dasein und vor allem tierisch in Champion verliebt, der auf dem gleichen
Hof wie sie lebt. Doch dann stürzt Lolles heile, kleine Welt ein. Sie erfährt,
dass Champion es mit der Treue nicht allzu ernst nimmt und fast zeitgleich, dass
der stets angesäuselte bis betrunkene Bauer alle Kühe schlachten lassen will.
Dass sie an diesem Tag den Kater Giacomo vor einem fiesen Höllenhund rettet,
erweist sich zumindest als Glücksfall. Denn besagter Kater kennt ein
paradiesisches Land, in dem Kühe heilig sind. Obwohl sie bisher davon
ausgegangen ist, dass es hinter den Bäumen hinter der Weide nur noch die
unendliche Milch der Verdammnis gibt, beschließt Lolle zu fliehen. Schließlich
möchte sie nicht zwischen zwei Brötchenhälften enden. Da sie nicht alle ihre
Artgenossen zum Mitkommen überreden kann, macht sie sich mit ihrer kleinen
Flüchtlingsherde in die große weite Welt auf.
Wer jetzt erfahren möchte, wie fatal das Zusammentreffen von Glühwürmchen und
Methan produzierenden Kühen enden kann, was für medizinische Alternativen alte
an jüngere Kühe weitergeben, was das Ziehen in Lolles Bauch mit Champion zu
tun hat, wie Lolle über die Schöpfungsgeschichte der schöpferischen Gotteskuh
Naia und ihre Folgen denkt, oder was Lolle samt ihrer kleinen Herde, dem nicht
ganz so ohne Hintergrundgedanken agierenden Giacomo oder dem Höllenhund so
alles erlebt, der sollte sich Safiers Buch zu Gemüte führen.
Gleich vorab: Safier hat damit nicht nur ein positives Echo hervorgerufen. Zu
bemüht, zu schräg, zu platt, zu unglaubwürdig, schlechter als die
Vorgängerromane - all das war in diversen Beurteilungen zu lesen. Ich kann
zustimmen, dass Safiers Humor gelinde gesagt schräg ist. Hochgeistige Lektüre
sieht ebenfalls anders aus und mir kam auch nicht alles logisch vor. Da ich
jedoch nach einem Blick in die Inhaltsangabe und auf das Cover so etwas auch gar
nicht erwartet habe, kann ich mich getrost den positiven Stimmen anschließen
(die es übrigens weitaus zahlreicher gibt).
Mit skurrilem, tatsächlich irgendwie bekannt vorkommendem Witz stellt Safier
seine Hauptcharaktere vor. Trottelig doof und trotzdem liebenswert sind die
einen, schnippisch, bissig, zickig und dennoch nicht vollkommen unsympathisch
die anderen. Gebildet oder eher naiv dumm, angeberisch, intrigant, untreu,
verzweifelt, wagemutig, verliebt, verbittert, unternehmungslustig, ängstlich.
Stark vermenschlicht kommen sie alle herüber, doch das stößt nicht ab. Die
eine oder andere Szene wirkt allerdings nicht nur durch die Vermenschlichung
extrem an den Haaren herbeigezogen und etwas zu kurios überspannt. Was auf der
einen Seite niedlich und nett amüsant wirkt, lässt auf der anderen Seite
(hoffentlich mehr als eine(n) LeserIn) ein wenig die eigenen
Ernährungsgewohnheiten und die Ignoranz der damit allgemein verbundenen
Bedingungen der Tierhaltung überdenken. Dieser Aspekt ist allerdings so
spielerisch leicht mit der Geschichte verwoben, dass man hier nicht von einem
erhobenen Zeigefinger sprechen kann oder muss. Unabhängig davon handelt Lolles
Reise von der Suche nach dem Glück, das für jeden ein wenig anders gewandet
daherkommt. Davon, dass manche Träume ein wenig zurechtgestutzt oder leicht
abgewandelt werden müssen, wenn man wirklich glücklich sein möchte. Und vom
Verstehen, dass jeder das ist, was Erlebtes aus ihm macht. Von Freundschaft und
Verantwortung.
Nicht zwingend tiefsinnig, aber auch nicht vollkommen oberflächlich lässt
Safier seine Hauptkuh Lolle die Geschichte erzählen. Locker und leicht lesbar
erfährt man von ihren teils klamaukartigen Erlebnissen und Gedanken. In der
hypothetischen Reise seiner Kühe findet sich humoriger Lesespaß. Vielleicht
gerade weil Safier Rinder, Kater und Hund so menschlich dargestellt, wirkt aber
auch die Entwicklung ihrer Charaktere oder die latent enthaltene Botschaft in
Muh! überraschend plausibel.
Fazit
Allen Menschen recht getan, ist ja bekanntlich eine Kunst, die keiner kann.
Deshalb gehe ich davon aus, dass Safiers Muh! nicht alle anspricht. Mit seinem
schrägem Wortwitz zeigt Safier darin durchaus ein Talent für spaßige
Situationen. Allerdings fehlt manchmal ein wenig Tiefe. Anfangs helfen noch
Dialoge und Sticheleien der Herde untereinander gut darüber hinweg. Im Lauf der
Geschichte verliert sich der Witz jedoch etwas, auch durch Wiederholungen von
Lolles Gedankengängen, was im Mittelteil für die eine oder andere Länge
sorgt. Trotz kleinerer Schwächen hält man mit dem Buch jedoch eine amüsante
und (größtenteils) kurzweilige Lektüre in Händen.
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 20. Januar 2013 2013-01-20 15:09:04