Kaum ein Roman bewegt im Augenblick die Gemüter so sehr, wie die
Shades-of-Grey-Trilogie der Britin E L James. Von Schund über Durchschnittsware
bis hin zum großen Wurf sind alle Meinungen vertreten. Doch was ist dran, am
Werk der Britin, deren Werk zunächst in einem kleinen australischen Verlag
erschien und von dort seinen Triumphzug über den Globus angetreten hat?
Im Mittelpunkt steht die Literaturstudentin Anastasia Steele, die in der Liebe
noch nicht erfahren ist. Als ihre Freundin erkrankt, springt sie für ein
Interview mit dem Unternehmer Christian Grey ein. Ein Interview, das für beiden
Seiten Folgen hat, denn seit dieser Begegnung ist Christian von Ana fasziniert.
Ana geht es ebenso und so erliegt sie nach und nach seinen Avancen. Allerdings
will Christian sie in eine düstere, gefährliche Welt entführen. Ein Welt, in
der er der Dom und sie die Sklavin ist.
Ist man mit dem Buch durch, fragt man sich, worum der Wirbel eigentlich gemacht
wurde. Wer das Buch nur wegen der Sexszenen liest, muss sich nicht unbedingt
durch die 600 Seiten kämpfen. Bücher von Sophie Andresky sind nicht ganz so
umfangreich, gehen aber mindestens genauso zur Sache.
Ob man den Akt letztlich so explizit darstellen muss, kann man sicher
diskutieren. Die Autorin hat sich für diesen Weg entschieden und damit Punkt.
Wer sich daran stört, muss den Roman ja nicht zur Hand nehmen. Persönlich hat
mich eher gestört, dass sich die Szenen immer wieder gleichen (wie vieles in
diesem Roman).
Problematisch finde ich die Zeichnung der Figuren: Ana ist eine schüchterne,
unerfahrene Studentin, die schnell errötet und sich unsterblich in Christian
verliebt. Der wiederum ist in seiner Neigung gefangen, Frauen zu dominieren und
ihnen Schmerzen zuzufügen. Hier arbeitet die Autorin mit einer zu breiten
Schwarz-Weiß-Zeichnung, mit der Folge, dass weder Ana noch Christian richtig
glaubhaft wirken. Er wechselt zwischen liebevollem Romantiker und finsterem
Folterknecht ebenso, wie Ana zwischen den Entscheidungen sich auf die Wünsche
von Christian einzulassen. Immer wieder geht es um einen Vertrag, in denen
festgelegt werden soll, welche Praktiken Ana über sich ergehen lassen muss (und
stellenweise auch will). Um sie zu überzeugen, führt Christian sie in die
Liebe (oder besser in die Sexualität) und in die Welt der Reichen ein. Das
liest sich zwar alles recht flott, kommt aber an vielen Stellen nicht über das
Niveau eines Groschenromans heraus. Zumal der Ablauf immer wieder identisch
ist.
Einen Großteil des Romans nimmt der Email-Verkehr zwischen Ana und Christian
ein, der auf Dauer ebenfalls etwas ermüdend ist, da sich der Inhalt der Mails
immer wieder gleicht.
Das Ende ist dann mit der Naivität ausgestattet, der man Ana von Beginn an
zugetraut hat. Einmal lässt sie sich in die Welt von Christian führen und
trennt sich daraufhin vom ihn. Als Leser möchte man ihr zurufen: Was hast du
denn erwartet?
Trotz all dieser Mängel kann ich nicht verhehlen, dass mich die Geschichte auch
gefangen hat. Wie ein Voyeur ist man gespannt, was noch alles kommen mag, auch
wenn man ahnt, dass der literarische Anspruch nicht weiter ansteigen wird.
Fazit
Nachdem ich im Vorfeld der Lektüre versucht hatte, mich nicht zu intensiv mit
der Handlung zu beschäftigen, konnte ich das Werk relativ unvoreingenommen
bewältigen. Nach der Lektüre kann ich sagen, dass mich Band 1 durchaus
unterhalten hat. Letztlich will man nicht immer nur die Süddeutsche lesen,
sondern wirft vielleicht auch mal einen Blick in die Bild-Zeitung. So ist es
auch mit "Shades Of Grey". Großer Anspruch wird nicht geboten, jedoch
unterhält der Roman zumindest die Leser ganz gut, die kein Problem damit haben,
dass hier sehr offen und sprachlich deutlich mit diversen Sexpraktiken
umgegangen wird. Der weltweite Wirbel bleibt mir jedoch weiterhin verschlossen,
denn den ist Band 1 nicht wirklich wert.
Vorgeschlagen von Michael Krause
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veröffentlicht am 14. Oktober 2012 2012-10-14 13:13:40