Während Mary Wollstonecraft Shelley die Geschichte um Victor Frankenstein und
seinem künstlichen Menschen in Frankenstein oder der neue Prometheus erzählt,
kann man die neue Geschichte Düsteres Verlangen von Kenneth Oppeln als
Vorgeschichte betrachten. Genf, Chateau Frankenstein, um 1800. Dies ist die
Geschichte von den fünfzehnjährigen Zwillingsbrüdern Konrad und Victor
Frankenstein, den Brüdern die sich so ähnlich und doch wieder verschieden
sind. Konrad ist der Besonnenere der beiden Jungs, Victor eher leichtsinnig und
draufgängerisch. Trotz der Unterschiede kann der Eine nicht ohne den Anderen
sein. Konrad ist zudem bei allen stets beliebt und der Beste in allem. Victor
fühlt sich dabei immer ein wenig in seinem Schatten stehend und weniger
beachtet. Möglich, dass dies zu seinem leichtsinnigen Verhalten führt, weil er
somit beweisen will, dass er auch etwas kann und für einige Minuten geniesst,
im Mittelpunkt zu stehen. Als sein Zwillingsbruder Konrad ernstlich erkrankt und
mit dem Tod ringt, ist er der Erste, der ihm helfen will. Victor sucht die
Dunkle Bibliothek von Schloss Frankenstein auf. Mit Hilfe eines Alchimisten will
er das "Elixier des Lebens" herstellen. Die Alchemie soll den Bruder
retten und befördert Victors dunkle Seite zu Tage. Mit ihr meint er, Konrad
retten zu können. Zusammen mit der gemeinsamen Freundin, der schönen Elizabeth
und dem eher sachlich ausgerichteten Henry macht Victor sich auf die Suche nach
den geheimen Zutaten, die sehr schwer zu beschaffen sind. Erst recht für drei
junge Menschen, die nicht als Erwachsene gelten. Langsam entwickelt sich der
junge Victor Frankenstein in den besessenen Arzt und Forscher der später in der
Literatur so viel Furore verursachte.
Henry lebt nur zeitweise auf dem Schloss der Familie Frankenstein, nämlich
immer dann, wenn sein Vater auf Reisen ist. Er ist der ruhige, sachliche Pol der
Victor gegenübersteht und hält sich mit seiner stillen Art meist im
Hintergrund. Cousine Elizabeth ist ein völlig untypisches junges Mädchen. Sie
wächst mit den Zwillingen in einem ungewöhnlich liberalen Haushalt auf. Ihrer
Entwicklung steht nichts entgegen und die drei K, Kinder, Küche, Kirche, ziehen
bei ihr nicht. Sie steht zwischen den Brüdern, weil beide sie lieben und um sie
werben. Elizabeth traf jedoch bereits ihre Wahl und es ist nicht Victor.
Gemeinsam müssen sie gefährliche Abenteuer bestehen und dem Tod durchaus ins
Auge sehen. Victor verfällt dabei immer mehr der Alchemie und dem Wahn,
künstliches Leben zu erschaffen. Der Drang seinen Bruder von der Krankheit des
unbekannten, schlimmen Fiebers zu retten, treibt ihn an. Dieser Drang ist es
jedoch nicht allein. Der Ruhm, den er sich erhofft, bewirkt, dass er bald wie
besessen jedes Opfer bringt, um sein Vorhaben zu vollenden. Es werden die
Gegensätze von Victor und Konrad in den Vordergrund gerückt. Auf der einen
Seite der wissenschaftliche Ehrgeiz, auf der anderen Seite die Werbung um
Cousine Elisabeth. Während sich Konrad ruhig und einfühlsam um sie bemüht,
reagiert Victor impulsiv und leidenschaftlich, wenn es um ihre Zuneigung geht.
Kenneth Oppeln beschreibt dabei sehr feinfühlig, was sie jeweils in Elizabeth
sehen und warum sie etwas für sie empfinden. Victor steht in einem inneren
Wettstreit mit seinem Bruder Konrad, den er für den Klügeren hält und
versucht deswegen mit Mut aufzufallen und sich hervorzuheben. Was er für mutig
hält, ist für andere eher waghalsig. Dabei riskiert er Hals und Kragen. Victor
ist ausserdem aufbrausend und ungeduldig und ab und zu müssen ihn sein Bruder
und ihre Cousine Elizabeth regelrecht bremsen.
Fazit
Kenneth Oppeln erzählt, wie Victor seine Liebe zur Alchemie fand. Welche
Ereignisse brachten Victor dazu, einen künstlichen Menschen zu erschaffen? Die
Geschichte um Frankenstein (und damit meint man in der Regel das Monster bzw.
den künstlichen Menschen) bezieht sich immer auf Victor Frankenstein. Diese
Vorgeschichte mit den Hinweisen auf die Entwicklung und den Werdegang von Victor
ist in der Ich-Form geschrieben, besonders reizvoll. Victor ist in seiner Liebe
zu seinem Bruder fest davon überzeugt, ihn zu retten. Er ist dabei bereit, die
Grenze des Bekannten zu überschreiten und die Wissenschaft verlassend, an
Wunder zu glauben.
Düsteres Verlangen ist ein Roman mit zweideutigem Titel. Ist das Verlangen zu
Elisabeth gemeint, oder das Verlangen, ein berühmter Wissenschaftler zu werden?
Die Interpretation bleibt offen. Dafür überzeugt das Buch durch die
sympathischen Charaktere und seine Einzigartigkeit. Eine einfühlsame und
zugleich spannende Geschichte wie diese gibt es nicht oft in der Literatur und
im Jugendbuchbereich noch seltener. Dunkle Geheimnisse, Spannung, Abenteuer,
Liebe. Die Zutaten für einen guten Roman, der vor allem als Jugendbuch seinen
besonderen Reiz besitzt.
Vorgeschlagen von erik schreiber
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veröffentlicht am 02. September 2012 2012-09-02 10:04:01