Christian Graf von Krockow hat sich mehrfach mit der deutschen Geschichte
zwischen der Reichsgründung 1871 bis heute beschäftigt. Sein zweifellos bestes
Werk ist das leider vergriffene "Die Deutschein in Ihrem Jahrhundert
1890-1990" (Rowohlt, 1990). Schon hier - wie in seinen späteren Werken,
u.a. seiner
Bismarck-Biographie von 1998 zeichnet
Krockow ein zwiespältiges Bild des letzten Deutschen Kaisers. Einerseits sei er
ein typischer, den Fortschritten in den Naturwissenschaften und Technik
äußerst aufgeschlossener Mensch seiner Zeit und daher sehr populär gewesen.
Andererseits zeichnen ihn - geprägt durch seine schwere Jugend - Unsicherheit
und Antimodernität aus. Seine Taktlosigkeit, seine gedankenlosen, anstößigen
Reden seien dadurch zu erklären. Krockow, der wie in jedem seinem Werk
intensive Quellenstudien betreibt (wenn er sich auch in jedem seiner Bücher
wiederholt und dieselben Quellen verwendet)gelingt es, ein faszinierendes
Portrait seiner Epoche zu zeichnen. Allerdings halte ich das Portrait Wilhelms
II. für zu positiv. Natürlich ist es richtig, dass er aus heutiger Sicht den
"Sündenbock" für Entwicklungen darstellt, die er nicht alleine zu
verantworten hatte. Dennoch - und dies kommt mir in seiner Biographie zu kurz -
wird ja das Militaristische, dieses Zusammenspiel zwischen ostelbischen Junkern
und Militär (vgl. etwa Winfried Loth: Das Kaiserreich) erst unter Wilhelm II.
konstitutives Element des Staates. Unter dem - von Krockow zu recht sehr
gelobten - Großvater Wilhelm I. gab es - da dieser Mann sehr bescheiden war -
keinen auftrumpfenden preußischen Militarismus; auch unter Bismarck gab es
diesen nicht - auch wenn Bismarck, wie Krockow völlig korrekt in seiner
Bismarck-Biographie anmerkt, den Obrigkeitsstaat schuf, das Bürgertum von der
Gestaltung im Staat ausschloss und seine Politik auf Angst (vor den
"Roten") und Feindbildern aufbaute - diesen Militarismus gab es aber
unter Wilhelm II. Nun wird dies zwar alles bei Krockow erwähnt - aber dennoch
scheint mir - auch wenn es sich um das Wissen des heutigen Historikers handelt
und um Entwicklungen, die damals so nicht vorausgesehen werden konnten - Krockow
Wilhelm II. zu positiv zu sehen. Natürlich kann man Wilhelm II. 1913 als
"Friedenskaiser" bezeichnen; die berühmte "Hunnenrede" und
die "Krüger-Depesche" fanden aber schon vorher statt; was Krockow bei
Bismarck (s.o.) zu recht bemängelt, sollte er Wilhelm II. nicht einfach
"durchgehen" lassen. Fazit: Ich halte die Darstellungen des
Kaiserreiches von Wilfried Loth (DTV, 2. Aufl, 1997) oder Volker Ullrich (Die
nervöse Großmacht, 1997) für aussagekräftiger als diese Biographie; auch die
Kriegsschuldfrage wird nicht eindeutig genug herausgearbeitet; Wilhelm II. war
verantwortliches Staatsoberhaupt; die Arbeiten Fritz Fischers (Deutschlands
Griff nach der Weltmacht; Krieg der Illusionen) haben doch nun eindeutig die
gefährlichen Entwicklungen dokumentiert, die unter Wilhelm II. stattgefunden
haben; natürlich werden diese auch von Krockow erwähnt und in allen seinen
diesbezüglichen Schriften beschrieben; die trotz allem sehr positive Wertung
Wilhelms II. erscheint mir aber gerade vor diesem Hintergrund doch sehr
überzogen zu sein. Dennoch bietet Krockow ein interessantes Epochenbild und ich
vergebe daher 4 Punkte für diese Biographie, auch wenn ich die Persönlichkeit
Wilhelms II. sehr viel negativer einschätze. Als notwendige Ergänzung - gerade
zur zu postiven Einschätzung Wilhelms II. sei von mir empfohlen: Geoff Eley:
Wilhelminismus, Nationalismus, Faschismus: Zur historischen Kontinuität in
Deutschland (insbesondere Kapitel 1.2: Die Sichto vom Thron: Das persönliche
Regiment Wilhelms II.) (Münster 1996).
Fazit
Insgesamt trotz der obigen Kritik durchaus lesenswert.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 26. Oktober 2003 2003-10-26 00:11:14