Vor der Küste Italiens stößt der Schleuser seine Passagiere von Bord. Wer
nicht schwimmen kann, ertrinkt. Ines erreicht den Strand mit einer Plastiktüte,
die ihren Mantel und ihre Hoteluniform enthält. Ines Schicksal setzt sich erst
allmählich wie ein Puzzle zusammen aus den Zeugenaussagen derer, denen sie als
Reisende ohne Papiere auf ihrem Weg von Tunesien nach Europa begegnete. Im Hotel
For Seasons lernte Ines, Geld mit Hotelsex zu verdienen und sie lernt von einem
Gast Schwimmen. Sie bekommt ein Kind von einem schwarzen Hotelgast. Ines
Zimmergefährtin misstraut dem Mann, wei er sein Schwarzsein "nicht
lebt". Im Glauben, dass der Mann sie liebt, unterschreibt Iris Papiere,
die sie nicht versteht. Germayne hat Iris als preiswerte Leihmutter missbraucht
und verlässt das Land mit dem gemeinsamen Sohn.
Ines zahlt für die Überfahrt über das Mittelmeer; schlägt sich nach Berlin
durch, um um ihren Sohn zu kämpfen. Die Frau mit dem auffällig eleganten
Mantel findet auf ihrer Reise Unterstützung von den verschiedensten Menschen,
Hilfe die Ines reglos annimmt, als hätte sie Anspruch auf Zeit und Geld der
anderen. Auch in Berlin trifft Ines auf Menschen, die für sie sorgen. Die
illegale Einwanderin findet sogar eine Vertrauensposition als Betreuerin eines
blinden älteren Herrn. Ines, die Betrogene, hat sich ihre eigene Moral
gebildet, es gibt nur noch Ines und ihren Sohn. Wenn sie um ihr Kind kämpfen
will, braucht Ines Geld, viel Geld.
Lloyd Jones Rekonstruktion des Lebens einer illegalen Einwanderin wird aus
vielen verschiedenen Perspektiven erzählt. Jones hat für diesen Roman mit
einem Autorenstipendium in Berlin recherchiert. "Die Frau im blauen
Mantel" besteht aus vier Teilen, die beiden mittleren Abschnitte spielen in
Berlin. Wie beim Lesen eines Krimis sind Aussagen und Indizien zu sammeln und
abzugleichen. Die Berichte überlappen sich; Ines Erinnerungen und die Sicht der
anderen widersprechen sich teilweise. Beobachtungen von Zeugen vermitteln stets
auch Entscheidendes über den Charakter des Befragten, erinnert eine Zeugin, die
als Dokumentarfilmerin arbeitet. Hauptzeuge ist Defoe, ein Wissenschaftler aus
Neuseeland, der bei Ines blindem Arbeitgeber wohnt, um dessen Sehnsucht nach
einem intelligenten Gesprächspartner zu erfüllen. Ines macht sich in Ralfs
Wohung unsichtbar und unhörbar, als wolle sie keine Spuren hinterlassen. Die
Frau aus Afrika macht es anderen nicht leicht, ihr Handeln zu verstehen. Im
letzten Teil des Buches fallen die noch fehlenden Puzzleteile an ihren Platz,
als Ines selbst erzählt.
Fazit
Das Zusammenpuzzlen der Handlung aus der Perspektive vieler Beteiligter muss man
mögen, um Gefallen an Lloyd Jones Roman zu finden. Als hinreißende
Nebenfiguren erleichtern es Defoe aus Neuseeland und Hannah, die Exfrau des
blinden Ralf, die spröde "Frau im blauen Mantel" zu verstehen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 05. August 2012 2012-08-05 10:16:51