Brasilien (und die Welt) in epischer Breite
Lang ist dieses Buch, das ist der vorherrschende Eindruck nach der Lektüre.
Lang und in epischer Breite erzählt, mit verschiedenen Erzählsträngen und
vielfachen Verflechtungen, bei denen es nicht einfach ist, den roten Faden der
jeweiligen Erzählfäden fest im Auge zu behalten. Voller
"Bildungsanspielungen", philosophischen Reflektionen, vielfach auch
religiösen Erläuterungen (einer der Erzählstränge nimmt sich der Biographie
eines ehemals im 17. Jahrhundert in Brasilien tätigen Jesuitenpaters an). Aber
auch Zitate, Verweise, Rückgriffe auf die Literaturgeschichte kommen nicht zu
kurz in diesem breiten, literarischen Roman. Gerade im Blick auf diesen Kricher,
der, als echter Jesuit, vielfach interessiert durch diese "neue" Welt
seinen Weg geht und, neben religiösen Überlegungen, auch die Naturwissenschaft
nicht zu kurz kommen lässt.
Im Groben lassen sich so zwei Hauptgeschichten (neben den vielen
Nebenschauplätzen und sonstigen Figuren im Roman) ersehen. Zum einen bietet de
Roblès eine (fiktive) Biographie des (real damals existierenden) Jesuitenpaters
Kircher im Buch an. Ein Blick in die Geschichte, die religiösen Verästelungen,
die kirchliche "Herrschaft" im Brasilien des 17. Jahrhunderts, welche
ebenso voll ist von Entdeckungen, Abenteuern, Erforschungen des riesigen Landes,
Eindrücke, lebendige Geschichte, die durch die Augen Kirchers reflektiert und
dargestellt werden. Zum anderen bietet de Roblès an verschiedenen Personen und
Situationen ein tiefreichendes und breites Bild des "modernen"
Brasiliens. Geschickt wählt er vom Politiker über gebildete Bürger der
Mittelschicht, über das Leben in den Elendsvierteln bis zum Milieu der
Drogenkriminalität eine durchaus spannende Bandbreite des Lebens in Brasilien
samt seiner spannungsgeladenen, aneinander sich stark reibenden sozialen
Unterschiede, wo im "Leben auf der Strasse" vielleicht ein (kleiner)
Schlüssel für all dieses zu finden wäre.
"Sie sind alle Kenner der Materie, und sie nehmen kein Blatt vor den
Mund....... genau sie - ich meine die Hilfskräfte, die Kellner in den Cafès
und Barmädchen - müsste man zur psychologischen Analyse unserer Welt
heranziehen - sie haben da mehr Einblick als jeder andere sonst".
Eine "Analyse unserer Welt", die de Roblès dann aber doch nicht
unbedingt durch die Augen von Kellnern und Barmädchen Revue passieren lässt,
sondern seine diversen Hauptfiguren dieser sich drehenden, nicht wirklich
einheitlich zu fassenden, brasilianischen Welt aussetzt. Mit durchaus Längen
hier und da und durchaus leichten bis mittelschweren Verwirrungen an anderen
Stellen beim Leser, die es nötig machen, des Öfteren einige Seiten zurück zu
blättern, um neuen Anlauf zum Verstehen zu nehmen. Dies gilt zwar nicht für
die stringend erzählte Geschichte um den Jesuiten Kircher herum, wohl aber für
weite Teile der "modernen" Geschichte im Roman. Lässt man sich aber
auf die vielen Sprünge und die diversen Handlungen und Figuren im Buch ein, so
entdeckt man eine durchaus intensive und kluge Darstellung der Welt in vielen
einzelnen Teilen, ganz anders einander gegenüber und doch verbunden.
Fazit
Ein Buch voller Geschichten in den Geschichten, mit vielfachen Reflektionen der
Welt, in der wir leben und wie sie so wurde, wie sie ist. Beileibe nicht einfach
und flüssig zu lesen, durchaus in den einzelnen Darstellungen und Elementen
interessant und lesenswert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 05. Juni 2012 2012-06-05 12:34:03