Eine literarische Reflektion
Testosteronmangel, das war die Chance in diesem fiktiven kleinen
südamerikanischen Land Faguas mit seinen (ebenso fiktiven) drei Millionen
Einwohnern.
Ein Vulkanausbruch setzte giftige Gase frei, welche konsequent auf Männer sehr,
sehr verharmlosend, träge machend wirkten. Testosteron wurde abgebaut im
männlichen Körper. Die Chance für die Frauen des Landes, die Chance für die
"Partei der erotischen Linken" (PIE), auf deren Fahne als Symbol ein
Frauenfuß mit rot lackierten Nägeln prangt. Sie gewinnt die Wahlen und macht
sich daran, das gesamte Land umzukrempeln.
Weg von der Korruption, weg davon, dass Gesetze immer nur zur Beugung durch die
Mächtigen vorhanden waren, weg von Ungleichheit und Unfreiheit.
Polizei und Sicherheitskräfte, alles wird angeführt von Frauen. In der
gesamten Verwaltung ist kein Platz mehr für Männer. Ein "stiller
Staatstreich" sondergleichen, an der Spitze Viviana Sanson, die neue
Präsidentin und ihre Ministerinnen, jede mit ausgeprägtem Charakter und ganz
eigener Geschichte. Und durchaus auch viele der Männer lassen sich im Lauf der
Zeit überzeugen, dass diese Frauen Regierung vieles zum Besseren gewendet
hat.
Viele, aber nicht alle Männer. Und so langsam lässt auch die Wirkung des Gases
nach, das "Männliche" regt sich wieder hier und da und regt sich
durchaus auf. Was schon zu Beginn des Buches deutlich im Raume steht. Ein
Attentat auf die Präsidentin findet statt und von dieser Ausgangslage aus rollt
Belli das gesamte Projekt der "neuen Regierung", der "weiblichen
Werte" vor den Augen des Lesers aus. Schildert aus diversen Perspektiven,
beginnend bei der Präsidentin, die im Zwischenstadium zwischen Tod und Leben
ihr Leben Revue passieren lässt über ihre Wegbegleiterinnen und anderen
Figuren des Landes.
In hochwertiger Sprache stellt Belli ihr Thema dar. Sie, die selbst
Befreiungskämpferin war, die selbst für die Ideale und die Werte der Freiheit
und der Demokratie angetreten ist, lässt anhand der Polung zwischen männlichen
und weiblichen Herangehensweisen das ständige Scheitern wirklicher Demokratie,
die ständige Beschneidung der breiten Freiheit durch Eigensinn, Machtanspruch
und Korruption Revue passieren. Vor allem die energische und vorantreibende
lesbische Ministerin Martina steht hier als Symbol für absolute bürgerliche
Freiheiten, die in ihrer eigenen Geschichte lange genug ihre Neigung hat
verbergen müssen. Sie leitet nun das "Ministerium für unbegrenzte
Freiheiten". Aber nicht nur in dieser Hinsicht, in so vielem versuchen die
Frauen einen ganz anderen Anfang zu setzten. Ob sich diese Utopie an den
Realitäten bricht oder durchsetzt, zumindest im Roman?
Ein wenig platt wirkt es schon zunächst, die beiden Pole, die Belli aufbaut.
Dennoch gelingt dieser Kunstgriff, das Männliche als fordernd, aggressiv,
individuell, nur auf den eigenen Vorteil bezogen zu charakterisieren und
demgegenüber die Fiktion einer Führung aufzubauen, die das Gemeinschaftliche,
das "Aufgeräumte", das Freie in den Mittelpunkt rückt.
So bietet das Buch sowohl vordergründig ausgereifte psychologische
Charakterstudien der Protagonisten und im Gesamten eine literarische Form der
freien, der möglichen Gesellschaftsform. "Ordnung schaffen in diesem
schmutzigen Haus", das ist das Ziel der Frauen und das ist sicherlich auch
der tiefe Wunsch der Giaconda Belli. Eine Illusion?
Belli selbst hat das ja alles miterlebt, die Hoffnungen, die Enttäuschungen,
das Abgleiten wieder in althergebrachte Strukturen und das Wagnis immer wieder
eines neuen Anfangs.
Fazit
Spannung findet sich in diesem Roman nicht, wohl aber eine kluge Überlegung
über das, was dieser Welt an Demokratie und Freiheit helfen könnte, woher dies
wohl nicht kommen wird (aus Erfahrung) und woher dies zu beziehen wäre (als
Experiment), in einer nur auf den ersten Blick "merkwürdigen" dann
aber im Buch durchaus funktionierenden "Machtkonstellation". Die nicht
aus Einsicht heraus entsteht oder aus Mehrheiten heraus, sondern für die es
schon ein Naturereignis braucht, um ihr eine Chance zu geben. Durchaus
lesenswert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 10. Mai 2012 2012-05-10 10:40:52