Eine mexicanische Tragödie bildet den Rahmen für Sam Hawkens Roman über die
toten Frauen von Juárez. Hier - in der Grenzstadt zu El Paso in den USA -
herrscht die Mafia der Drogenbosse mit den Waffen der Gewalt, Brutalität und
Menschenverachtung. Immer wieder werden Frauen und Mädchen vermisst, die
niemals lebend zurückkehren und deren Verschwinden keiner aufklärt. Man weiß,
dass solche Dinge passieren, spricht aber nicht darüber. Sie sind die
"Mujeres sin voces", für die nur eine kleine Truppe Engagierter
kämpft - nahezu machtlos, wie David gegen Goliath. Auch Kelly Courter, ein
heruntergekommener amerikanischer Boxer, weiß von solchen Frauen, die jedoch
wenig Raum einnehmen in seinen Gedanken. Er arbeitet für den Dealer Estéban
als Drogenkurier und spielt in der Boxarena den punchingball für mexicanische
Champions, die ihn - den "bolillo" - voll Begeisterung auf die Matte
schicken. Blutige Spiele für eine Menge in Ekstase, deren Gröhlen das Letzte
ist, was er hört, bevor es dunkel vor seinen Augen wird. Aber die Pesos
stimmen, das Geld, das er verdient, um sich vielleicht einmal eine Zukunft mit
Estébans Schwester Paloma, seiner Geliebten, aufzubauen. Der ständige Kontakt
mit "motivosa", jedoch, dem Stoff, aus dem die Träume sind, wird auch
ihm zum Verhängnis, bringt ihn auf die rauschhafte Bahn zur härteren Droge.
Als Paloma dann plötzlich so unauffindbar ist wie die zahlreichen Frauen vor
ihr, gerät Kelly ebenso in Verdacht wie ihr Bruder Estéban, Schuld an ihrem
Verschwinden zu tragen.
Erst Rafael Sevilla, ein befreundeter mexicanischer Polizist, setzt sich auf die
Spur der verschwundenen Frauen und versucht unter Einsatz seines Lebens, die
Machenschaften der Täter zu entlarven. Er bewegt sich damit in einer Welt, die
ihr eigenes Gesetz hat, in der man bereit sein muss zu töten, wenn man sein
Leben behalten will.
Sam Hawken hat mit nachhaltigen, teils hart gewählten Worten ein unglaublich
eindringliches Buch geschrieben. Schon die Grenzstadt Juárez wirkt durch seine
Darstellung trostlos, schmutzig und grau, eine Ansammlung von lärmenden
Fabriken und ärmlichen Wohnhäusern, in denen die Menschen ihre
heruntergekommenen, zerschlagenen Körper ausruhen, denen nur Drogen und Alkohol
ab und zu rauschhaftes Vergessen schenken. Die Schauplätze sind düstere,
blutige Box - und Hahnenkampfarenen, in deren verräucherter Luft Männer ein
brutales Vergnügen suchen, die selber nicht mehr wert sind als eine
Schmeißfliege auf den Jackets der Drogenbosse und auch so von ihnen behandelt
werden.
Fazit
Insgesamt kann man sich kaum befreien von dieser deprimierenden Darstellung, die
nicht viel Raum für positive Gedanken bietet. Erbarmen, Entsetzen und Abscheu
sind sehr dominant während des Lesens. Nur zum Ende hin spürt man ein wenig
aufatmende Genugtuung, als Sevilla seinen Weg beschreitet, der den Frauen von
Juárez endlich Gehör verschaffen wird - un vía de esperanza - ein Weg der
Hoffnung.
Ein großes Stück aufrüttelnder Literatur.
Vorgeschlagen von brillenbaby
[Profil]
veröffentlicht am 24. April 2012 2012-04-24 11:55:15