Fundierte und deutliche Darstellung der Vertreibung
Es ist durchaus von Vorteil, kann man nach der Lektüre feststellen, dass hier
ein amerikanischer Historiker sich aufgemacht hat, eine Gesamtdarstellung der
"Vertreibung der Deutschen aus dem Osten Europas" zu konzipieren.
Zumindest hoch objektiv und nicht von persönlichen Blickwinkeln beeinflusst
wirkt seine Darstellung, die sich zu weiten Teilen vor allem auf die Akten und
Zeugenaussagen des internationalen Roten Kreuzes stützt. Deutsche Quellen nutzt
Douglas nur da, wo sie mehrfach belegt sind. Mit dieser Quellenlage schafft er
zunächst ein möglichst abgesichertes, reales Bild der Ereignisse in den
letzten Wochen des zweiten Weltkrieges und in der unmittelbar darauf folgenden
Zeit. Anders als die oft doch subjektiv geprägten Aufarbeitungen der
"Vertreibung", wie sie in manchen deutschen Darstellungen vorliegt.
Zudem nimmt sich Douglas die Zeit und den Raum, immer wieder sehr genau und vor
allem konkret hinzuschauen, sehr plastisch an Einzelfällen darzustellen, wie es
"in Wahrheit war". Das, was die Alliierten als "ordnungsgemäße
Überführung" miteinander vereinbart und geplant hatten setzt Douglas in
direkten Kontrast mit der "Umsetzung vor Ort" und schildert
ungeschminkt die Grausamkeiten und Härten, mittels derer so manche
"Sieger" ihrer Verachtung und in Teilen auch ihrer Rache freien Lauf
ließen. So entsteht auch ein Bild von dem, was passiert, wenn Menschen sich
"entfesseln" und "freier Lauf" gewährt, fast erwünscht
wird. Dies gilt im Übrigen nicht nur für das Geschehen um die Deutschen aus
dem Osten Europas, dies gilt in vielfacher Form im Blick auf
"Vertreibungen" ethnischer Gemeinschaften zu vielen Zeiten der
Weltgeschichte. Vertreibungen, die Douglas im Übrigen ebenfalls in ihrer
Grundstruktur kurz erwähnt und skizziert.
"Zwangsumsiedlungen", die durchaus auch in der Gegenwart zumindest an
manchen Orten immer noch versucht werden. Die allerdings gerade im Blick auf das
eigentliche Objekt seiner Betrachtung in ungewöhnlich und
"entfesselter" Brutalität stattfanden. Eine Brutalität, die
sicherlich, auch das legt Douglas offen, im Gesamtkontext des Krieges zu sehen
ist, in dem gerade von deutscher Seite her ein solche Brutalität und
Grausamkeit, eine solche Aufkündigung aller bis dahin geltenden Regeln im Krieg
vorangetrieben wurde.
Dennoch nimmt es den Leser durchaus innerlich mit, wenn Douglas detailliert eine
"staatlich geförderte" Gewalt darstelle, aufzeigt, warum die hehren
Worte eine "humanen Umsiedlung" schon als sie ausgesprochen und
vereinbart wurden längst von der Realität überholt waren. Eine Rigidität,
die in Teilen maßlos ihren Weg nahm.
"Ostpreußen ist leer", formulierte Radio Lublin schon im Mai 45.
"Geleert", könnte man sagen nach der Lektüre des Buches. Rasch,
radikal und brutal, Hauptsache geleert und bereit für eine Neuansiedlung und
Assimilation, das eigentliche ziel Stalins, wie Dougals herausstellt. Ein Plan
im Übrigen, der von anderer Seite her durch die Nationalsozialisten ebenfalls
schon längst durchgeplant worden war nach dem erhofften "Endsieg",
was zigmillionen Polen und Russen betroffen hätte.
Ein gutes halbes Jahr währte diese strukturiert vorangetrieben
"Vertreibung", die "hunderttausende von Opfer nach sich
zog". Und das, wohlgemerkt, nach der Kapitulation zu offiziellen
"Friedenszeiten" bereits. Wobei es Douglas nicht bei der Darstellung
dieses "Kernzeitraumes" bewenden lässt. Auch die Integration der
Millionen von Flüchtlingen in Deutschland nimmt er auf und stellt diese dar.
Eine Integration inmitten einer "kalten" Bevölkerung, die durchaus
mit massiver Abwehr auf "die Flüchtlingen reagierte". Auch dies liest
sich intensiv im Buch, wie jene, die alles verloren hatten, auch viele
nahestehende Menschen, die Grausamkeit gesehen und erlitten hatten, nun
ebenfalls wieder einer Haltung des "unerwünscht Seins" gegenüber
standen. Eine Integration, die dennoch gelang und deren Ermöglichung Douglas
ebenfalls darstellt.
Fazit
R.M.Douglas bietet eine breite und in den genutzten Quellen möglichst objektive
Darstellung eines der dunkelsten Kapitel, was "Zwangsumsiedlungen"
angeht und stellt diese einerseits plastisch und konkret dar, wie es ihm
andererseits gelingt, die großen Entwicklungslinien des Geschehens vorher wie
nachher aufzuzeigen. Ein sehr gelungenes Stück dargestellter Geschichte.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 17. April 2012 2012-04-17 13:57:24