Ab jetzt ist Ruhe - irgendwie auch ein Nachruf.
Marion Braschs Erstlingswerk "Ab jetzt ist Ruhe" vermittelt uns ein
Stück erlebter, deutscher Geschichte, nimmt uns mit in ihre Familie, deren
Lebensform der sozialistischen Prägung der DDR Tribut zollen muss. Vater und
Mutter waren nach dem zweiten Weltkrieg aus dem englischen Exil nach
Ostdeutschland gekommen, aus ihm, dem gläubigen Katholiken wurde schon vorab
ein Kommunist und darauf ein hoher Parteifunktionär, sie als Wiener Exil-Jüdin
aus wohlhabendem Hause, nahm die neue Heimat mit all ihrer gelebten
Engstirnigkeit nur widerwillig an. Die drei Brüder der Schriftstellerin standen
dem Regime von Beginn an misstrauisch, wachsam und aufbegehrend gegenüber.
Marion als Letztgeborene spielte eine sehr zwiespältige Rolle. In einer
Hinsicht war sie "die Kleine", "das Nesthäkchen", das man
gern verhätschelte, das jedoch niemand so Recht ernst nahm. Andererseits musste
sie immer um Ausgleich bemüht sein, denn die Mentalitäten in dieser Familie
prallten in ihrer Gegensätzlichkeit oft gnadenlos aufeinander. Der Vater wirkte
seit dem frühen Tod der Mutter meist autoritär und verschlossen, alles schien
in ihm bereits "beschlossen", nichts mehr "verhandelbar" zu
sein, woran auch seine Parteiüberzeugung einen immensen Anteil hatte. So war
die Familie oft gespalten durch Reflexionen auf ein politisches System, dem
viele Menschen ihre Zustimmung versagten, weil sie Zwang und Unfreiheit hinter
der propagandistischen Schönmalerei erkannten. Andererseits war es Heimat und
darum schmerzte es auch bitter, dass die erstrebte Ideologie in ihrer ersehnten
Form ein Traum blieb.
Diese Zerrissenheit vermittelt auch die Familie. Einerseits spürt man das
Miteinander-Verbundensein in vielen Momenten, in anderen dagegen wirkt die
Beziehung zum Anderen kalt, unpersönlich und unsensibel, gebündelt in einer
Flut positiver und negativer Strömungen, deren Wechsel auch der Leser ständig
unterworfen ist. Die Sicherheit, die eine intakte, Geborgenheit vermittelnde
Familie einer Heranwachsenden bietet, ist für die junge Marion Brasch nicht
vorhanden. Auf sich allein gestellt, eher noch mit der Bürde der anderen
Familienmitglieder auf den Schultern, nimmt sie ihr Leben in die Hand - mutig,
selbstverständlich und tapfer, oft auch mit sarkastischem Humor. Mit klaren,
schnörkellosen Worten nimmt sie in dieser Autobiographie den Leser an die Hand
- und das möchte ich betonen: sie nimmt ihn an die Hand, weil er schon längst
eingebunden ist in ihr Stück Leben. Er ist dabei, er fühlt mit ihr, bejaht und
verneint oder zweifelt auch an ihrem Tun, aber in intensiver leserlicher
Verbundenheit.
Wie stark diese Verbindung war, merkt er, wenn das Buch zuende gelesen ist und
er zurückbleiben muss und das bedauert. Ich glaube nicht, dass ab jetzt Ruhe
ist für die Autorin - sicher nicht, wenn man die Leser fragt, sie werden
neugierig auf weitere Werke sein. Ich kann allen nur empfehlen, diesen Roman zu
lesen, hoffentlich mit so viel Freude wie ich es getan habe.
Hierher gehört auch einer meiner Lieblingssätze: "...das sind die besten
Bücher, die du begrüßt wie ein Gast und von denen du Abschied nimmst wie von
einer Heimat".
Fazit
Dem Leser wird hier ein beeindruckendes Leseerlebnis vermittelt. Gleichzeitig
erhält er ein bisschen Geschichtsunterricht, mit dem er alte Erinnerungen
wieder auffrischen oder neue Erkenntnisse gewinnen kann.
Eine wunderbare Kombination in einem herausragenden, eindringlichen Buch!
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 06. April 2012 2012-04-06 14:19:04