Der Gang in die Moderne
Verwirrend ist er durchaus erstmal, der Beginn des Romans (und nicht nur
dieser). Viele Informationen, viele Beobachtungen bietet Tom Mccarthy dem Leser
und doch oder gerade deswegen ist es schwer, einen ersten Zugang zum Geschehen
zu finden. Denn die Frage nach dem "Warum" der Handlungen seiner
Personen, die wird so gut wie nicht beantwortet. Vielleicht auch deswegen
verwirrend, weil es eine ganze Weile lang braucht, bevor der Leser einigermaßen
sortieren kann, wer da überhaupt zu wem gehört, wer "normal" ist und
wer taub, wer Teil der Familie und wer angestellt oder Schüler.
Zumindest die Mutter der Haupotfigur des Romans, mit dessen Geburt die
Geschichte im Buch beginnt, Serge Karrefax ist taub, trotzdem sie spricht, Eine
Koppelung, die nicht nur den herbeigerufenen Arzt bei der Entbindung irritiert.
1898 ist das Geburtsjahr des kleinen Serge, eine Zeit, in der vor allem sein
Vater höchsten Wert darauf legt, dass die "Tauben" in seinem Umfeld
und seiner Familie, auf die Zeichensprache verzichten (da kennt er kein
Erbarmen). "Immerzu! Ich will sie reden hören, immerzu!".
Doch nicht nur in dieser Hinsicht fordert Serges Vater seine Umgebung. Immer ist
er am tüfteln, am machen, am "weiterdenken". Funk ist sein
Interessensgebiet, einige Meter hat er schon mit seiner neuen Technik
überbrückt. Während Serges Mutter sich dem Neuen gegenüber nicht allzu
aufgeschlossen zeigt (außer was die ein oder andere entspannende Substanz
angeht. Vom "neumodischen" Chloroform des Arztes jedenfalls kann sie
gar nicht genug bekommen). Ihre Seidenspinnerei arbeite mit alten Maschinen und
in traditioneller Weise. Sie achtet auf höchste Qualität. In diesem
Spannungsfeld wächst Serge auf und wächst somit auch auf in einem Symbol
seiner Zeit. Einer Zeit des fordernden, schnellen technischen Fortschritts und
einer Zeit ebenfalls des Versuchs, das althergebrachte, die Traditionen zu
bewahren.
Jener Serge, der bei der Geburt eine "Glückskappe" trägt (die
Fruchtblase, die auf seinen Kopf gerutscht ist) und der sich, durchaus in die
Fußstapfen seines Vaters tretend, schell für alles technische, Moderne beginnt
zu interessieren. Gemeinsam mit seiner Schwester Sophie arbeitet er sich durch
das "Spielbuch der Wissenschaften für Knaben". Während diese sich
mehr und mehr in der Biologie fast verliert, entzündet sich die Begeisterung
Serges wie bei seinem Vater für den gerade sich entwickelnden Funk. Was ihn
später zu einem durchaus gesuchten Fachmann macht, dem größere Aufgaben
übertragen werden. Doch wie so viele in seiner Familie, beginnt auch Serge
allmählich, sich in sich selbst zu verlieren, inmitten einer immer weiter nach
außen drängenden und fortschreitenden Welt. Ein Gegensatz, der dem Buch
durchaus eine innere Spannung zu geben vermag in der Frage, wie sich das Innere
des Menschen zum Außen verhält und inwieweit das Außen das Innere
beeinflusst.
Eine innere Spannung, die allerdings fast ganz als intellektuelles oder rein
beobachtendes Erleben durch Mccarthy gestaltet wird. Der reißende Fluss der
Moderne, der Technik, das ist die eigentliche "Hauptrolle" im Buch.
Die Protagonisten wirken hier und da wie eine reine Staffage, seltsam unbelebt
und doch wieder durch ihre eigenartigen Ausprägungen und ihr inneres
"Wegdriften" psychologisch interessant.
K ist kein Roman, den man als einfache Lektüre bezeichnen könnte. Voller
Sprachvielfalt, voller merkwürdiger, teils surrealer Wendungen, zeichnet Tom
Mccarthy ein emotional distanziertes, kühles Bild jener Jahrzehnte, in denen
die Welt sich technisierte und industrialisierte, in denen Traditionen
aufgebrochen wurden (die 60er) und Bilder laufen lernen (schon im ersten
Weltkrieg), eine äußere Welt, denen die Drogenerfahrungen des Serge und
anderer Protagonisten eine je ganz eigene Deutung zu geben vermögen. Eine
Deutung allerdings, die der Leser sich durchaus in Teilen hart erarbeiten muss.
Denn gerade aufgrund der emotionalen Distanz Mccarthy fehlt im Roman fast
völlig das, was für den Leser der meisten anderen Bücher gewohnt ist. Eine
innere Dramatik. Eineigenes, emotionales Mitgehen mit Personen im Roman. Es
bleibt ein Staunen vor der sprachlichen Versiertheit des Autors und dem
umfassenden Panorama der Moderne, welches er liefert, aber ebenso ein durchaus
leeres Gefühl, was die Beziehung des Lesers zu den Personen des Romans angeht.
Fazit
Tom Mccarthy legt einen nicht einfach zu lesenden Roman mit einem ebenso nicht
einfachen Zugang zu seinem "Personal" vor, in welcher er Innen und
Außen, Technik und Drogen, Suchen und immer weiter Suchen (das Finden tritt
deutlich zurück im Ablauf der Jahrzehnte) zu einem komplexen Bild der
Entwicklung des modernen Lebens zusammenführt. Sehr gewöhnungsbedürftig, aber
durchaus lohnend, wenn man sich auf diesen ganz eigenen Stil einzulassen bereit
ist.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 03. April 2012 2012-04-03 13:29:41