Über das Schweigen der Männer
Aus seiner langjährigen Praxis als Psychotherapeut kann Michael E. Addis drei
verschiedene Formen des "Schweigens von Männern"
herauskristallisieren.
Das "persönliche Schweigen" tritt auf, wenn der Mann selbst
"nicht einmal weiß, dass er Schmerzen hat", keinen Zugang zu seiner
inneren, emotionalen Welt besitzt. Das "private Schweigen" steht dort
im Raum, wo der Mann zwar weiß, was in ihm vorgeht, es aber entweder nicht
mitteilen möchte oder auch nicht mitteilen kann. Zu diesen beiden tritt noch
ein "öffentliches zum Schweigen bringen". Ein Phänomen, welches in
der Pubertät massiv in das Leben junger Männer eintritt. Da, wo "die
Umgebung" deutlich zum Ausdruck bringt, dass sie nichts davon hören will,
wenn junge Männer ihre Verletzlichkeit, ihre Emotionalität weiterhin deutlich
zum Ausdruck bringen, wie sie es als Kinder taten und gewöhnt waren.
Aus all diesem entwickelt sich, durchaus kulturübergreifend, ein
"Teufelskreis des Schweigens". Eine Sprachlosigkeit von Männern in
Bezug auf ihr Innenleben, auf den Ausdruck von Gefühlen, auf die offene
Mitteilung der eigenen Person und Befindlichkeit. Ein Schweigen, welches Männer
"unsichtbar" macht.. So, dass nur ein Bild, ein Image nach außen
gezeigt wird, das oft herzlich wenig mit der eigentlichen Person und deren
wahren Empfindungen zu tun hat. Um den Preis der Hinderung persönlicher
Entwicklung und Reifung zugunsten von "Schablonen" und einem
"Straight" Ideal (welches sich bis hin zum Kauf einer Pfeife ziehen
kann).
Dieses zeit- und kulturübergreifende Thema stellt Addis in den Mittelpunkt
seiner Betrachtungen. Anhand vieler Beispiele gelingt es ihm, die
Ausdrucksformen des Schweigens von Männern darzustellen, die auch gemachte und
gewollte Unsichtbarkeit herauszuarbeiten und den Preis zu benennen, den dies
dann in Wahrheit kostet. Gut, dass Addis bei der Analyse alleine nicht stehen
bleibt, sondern tatsächlich verständlich, nachvollziehbar, praktikabel und,
vor allem, sensibel diesem antrainierten, angelernten und wohl geübten
"Schweigen" Schritt für Schritt etwas entgegen zu setzten.
"Das Schweigen brechen um das Wohlbefinden zu erhöhen" und damit, im
Lauf der Zeit, "dauerhaft gesehen und gehört" zu werden. Nicht in
seinen Funktionen (das können Männer gut. Ob allerdings "Mein Haus, mein
Auto, mein Boot" tatsächlich zu einer Reifung und inneren Entwicklung
führen, darf nicht erst seit diesem Buch bezweifelt werden). Das Buch ist nicht
einfach im Stil und bietet vor allem keine leichte Kost. Durchaus fundiert und
gründlich geht Addis dem "Mann" in seiner Befindlichkeit nach. Im
Lauf der Seiten gelingt ihm allerdings überzeugend, jenen anrüchigen
"Geschmack von Orangensaft und Zahnpasta" aufzulösen, den er als
Vergleich bemüht um bildhaft darzustellen, wie sich die Sprachkombination von
"Männlichkeit und psychischer Gesundheit" wohl schmecken ließe.
Psychische Probleme sind Schwäche, Charakterstörung oder werden gar positiv
verstanden als "Dynamik" oder "Kanten". Da kümmert man sich
nicht drum, die "realen Probleme" der Welt wollen ja
"funktional" gelöst werden. Das ist "Männlichkeit". Aber
eben im falsch verstandenen Sinne. In den abschließenden Betrachtungen zu den
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen spätestens begreift der Leser dann, das es
hier nicht um ein wenig "mehr Romantik und Gefühl" bei Männern geht
oder ein wenig Arbeit gegen "Burn-Out", sondern ein seit Jahrhunderten
vorherrschendes System und Männerbild zu einem "Schweigen" und zur
"Unsichtbarkeit" der Verletzungen, Emotionen, der wahren Person von
Männern führt.
Das Gender-Thema ist ein zunehmend in den Blick rückendes Thema, gerade was die
Rolle von Männern in der Gegenwart angeht. Vielfach bereits
"abgehängt" in ihrer Bildungs- und Sozialkompetenz von Frauen und in
Teilen eher hilflos auf neue Anforderungen der persönlichen Entwicklung
reagierend. In diesem Themenbereich ist das Buch von Michael Addis ein
fundierter und grundlegender Beitrag, überhaupt erst einmal zu verstehen, was
da vorgeht, woher das kommt und warum das so ist.
Fazit
Ein interessantes Thema, nicht einfach, aber durchaus fundiert und
nachvollziehbar zu Gehör gebracht, welches das Lesen vor allem für Männer
lohnt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. März 2012 2012-03-16 14:30:41