Ein Allgäuer Roadmovie
Das jemand sich auf ein exotisches Fortbewegungsmittel, z.B. einen Traktor setzt
und sich zu einem fernen Ziel hin aufmacht, dass ist nichts weltbewegend neues.
Wie aber Jockel Tschiersch seine Charaktere im Buch Schritt für Schritt in der
Tiefe ihrer Persönlichkeiten "entblättert" und damit zwei
grundsätzliche Kräfte der menschlichen Entwicklung (jene nach einem
"weiter als das, was ist" und jene der "Befriedung der eigenen
Wurzeln") in unterhaltsam lesbarer Form und durchaus berührend ihren Weg
"mit der Raupe" finden lässt, dass ist im Rahmen der Roadmovies
durchaus von Qualität.
Nicht nur Ewald, Bauarbeiter, Raupenfahrer, Analphabet, mit einer fordernden
Mutter geschlagen (bei der er noch wohnt) überrascht sein Umfeld (und den
Leser) mit vielfacher philosophischer "Tiefeneinsicht" in das Leben,
auch alle anderen Figuren des Romans sind, bis in die Nebenfiguren hinein, mit
Liebe zum Detail und überraschenden Wendungen ausgestattet. Eingebettet in ein
allgäuer Lokalkolorit, welches in bester Weise dem Roman Atmosphäre gibt, ohne
aufdringlich den Ablauf zu stören.
Der Kiesgrubenbesitzer Karl Zwerger (nomen est omen), auch nur einer, der
verzweifelt echtes Leben sucht statt der nicht wirklich erfüllenden Lebensweise
als "Chef im Dorf", sitzend im "gemachten Nest". Auch das
dicke Steak beim Lieblingsitaliener kann ihn da nicht auf Dauer innerlich
beruhigen. Seine Frau, aus der Form geraten, einige Zeit durchaus leicht debil
wirkend, entpuppt sich als echte Unternehmenstochter und versteht es schon
längst insgeheim, sich nicht völlig von ihrem wankelmütigen Mann abhängig zu
machen (der gerade seine Insolvenz vortäuschen will und ihr mit
Scheidungspapieren kommt). Rita, die Sekretärin und Geschäftsführerin in
einem kommt durchaus kurz ins Wanken, ob es nicht angenehm wäre, mit ihrem Chef
und Liebhaber an ferne Ufer auszubrechen.
Doch alles kommt anders. Eine Insolvenz ohne vollständigen Fuhrpark? Das geht
nicht. Aber wo ist die kleine Fiat Planierraupe? Nun, es wird sich
herausstellen, dass Ewald, der Maschinenversteher und Planiermeister, sich auf
den Weg gemacht hat. Vordergründig nach Mecklenburg Vorpommern zur deutschen
Meisterschaft der Planierraupen, eigentlich aber hinaus in das, was ein eigenes
Leben sein könnte und was er sich nicht wieder einfach wegnehmen lassen will.
Er, der nur als Depp gilt und von allen Seiten her schmerzhaft bereits
vorgeführt wurde (vor allem in einem Bauwagen auf dem Marktplatz).
Umgehend setzt Karl Zwerger Rita in seinen geliebten Porsche mit dem Auftrag,
die Raupe wieder vor Ort zu bringen.
Doch auf all diesen Wegen kommt dann doch alles ganz anders, was nicht nur der
Porsche leidvoll zu spüren bekommen wird. So anders, dass selbst das Ende des
Weges zwischen Karl, Ewald und Rita nicht wirklich absehbar sein wird.
Eines verbindet alle diese Personen zutiefst. Am Ende des Buches werden sie
nicht mehr die sein, die sie zu Anfang waren. Nicht bei allen wird sich diese
Entwicklung zum Besten auswirken, aber eines macht Tschiersch im Buch sehr
deutlich: Niemand kann in seinem Leben ungestraft sich seinen inneren Wünschen
und Entwicklungen verschließen. Auch nicht auf Kosten anderer. Es braucht Ziele
für den eigenen Weg, den Mut, dafür das sattsam bekannt Umfeld auch einmal zu
verlassen und es braucht ebenfalls den Mut, sich dem zu stellen, woher man
kommt, also auch zurückzukehren. Gerade wenn dieser fehlt, enden viele Wege im
Nichts (wie Heinz, der LKW Fahrer leidvoll in die Seiten des Buches setzt.)
Fazit
Weniger eine Satire (auch wenn durchaus mit Humor hier und da geschrieben), eher
ein nachdenklich stimmendes Stück Entwicklungsgeschichte ist es, welche Jockel
Tschiersch in klarer und kraftvoller Sprache dem Leser vor Augen führt. Eine
Geschichte, das die stetige Kraft einer (inneren) Planierraupe im Leben mehr
bewirkt als kurzfristige Energieschübe und Fluchtreflexe, die doch nur
versickern, wenn sie rein oberflächlich verbleiben.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 02. März 2012 2012-03-02 14:56:13