München im Ausnahmezustand
"Was hält uns davon ab, aus der Reihe zu tanzen? Nur die Angst!".
Und wo die Angst nachlässt, da löst sich die Reihe auf. Was das eigentliche
Thema dieses Romans von Georg Oswald ist. Die Auflösung von Regeln und
Strukturen auf allen Seiten der Beteiligten offen zu legen.
Ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund (nicht so förmlich wird er und
andere im Roman, vor allem polizeiintern, einfach nur "Arab" genannt)
wird bei einem Autounfall in München schwer verletzt. Zeitgleich war eine
große verdeckte Operation der Polizei vor Ort im Gange. Die Volksseele vor
allem der Jugendszene kocht über, gibt der Polizei schnell die Schuld und
liefert der Staatsmacht umgehend Straßenschlachten und den Geschäften
Plünderungen.
Zeitgleich bereitet sich die Stadt und die Sicherheitskräfte auf eine
internationale Sicherheitskonferenz vor, bei der ein Anschlag handfest zu
befürchten ist.
Die Polizisten Martin Driller und Erich Kessel sind in beide Polizeiaktionen
involviert.
Was den angefahrenen Jugendlichen angeht gar als Täter. Erich Kessel hat es
trotz mehrfacher Anläufe nicht geschafft, clean zu werden. In einem
Aggressionsschub unter Entzugserscheinungen hält er frontal auf den
Jugendlichen zu.
Martin Driller tut, was er kann, um den Freund aus der Schusslinie zu halten,
die ermittelnde Staatsanwältin abzublocken, seine bürgerliche Existenz, seine
Familie zu retten (er saß nun einmal mit im Dienstwagen, mit dem der
Jugendliche überfahren wurde), muss sich zeitgleich um die Probleme seines
Sohnes in einer elitären, katholischen Privatschule kümmern und auch noch den
Spuren des geplanten Attentates nachzugehen. Hierzu wiederum könnte ihm Kessel
späterhin das ein oder andere mehr erzählen, sitzt aber zu sehr in der
Zwickmühle der Drogensucht, die ihn für dunkle Elemente angreifbar macht.
Ein Ermittlerduo, das es in sich hat, durchaus auch in der sorgfältigen
Schilderung der Persönlichkeiten und der in sich stringent logischen Abfolge
der Ereignisse, welche die innere Haltung beider Polizisten am Ende in einem
schwierigen Licht zurücklassen werden.
Nicht nur ein gelungener Kriminalfall bildet den roten Faden des neuen Romans
von Georg Oswald, auch seine spürbare Kritik an den Verhältnissen auf allen
Seiten der Gesellschaft zieht sich durch das Buch hindurch. Und das durchaus
ausgewogen. Einerseits der kritische Blick auf die Parallelwelt der Gangs und
Banden "da unten" im Zuge von Gewalt und Drogen, demgegenüber die
brutale Grausamkeit der "Verteidiger der Demokratie", von denen sich
so einige mit dunkler Vergangenheit mit auf der Konferenz versammeln werden. Das
raue Klima, aus dem Driller und Kessel kommen im Widerschein der einfachen,
bürgerlichen Existenz, die sich Driller mit seiner Frau aufgebaut hat. Eine
Existenz, deren innere Werte durch jene Privatschule repräsentiert werden, mit
der nicht nur Drillers Sohn, sonder auch er selbst in Reibung geraten wird. Zu
Recht, wie man konstatieren muss im Ablauf des Buches.
Eine Welt voller Reibungsflächen skizziert Oswald und mitten drin seine beiden
desorientierten Protagonisten. Am roten Faden der beiden Ermittlungen arbeitet
Oswald erkennbare Probleme einer zerfallenden Gesellschaft ab und zeigt den
nicht immer gelingenden Versuch, in dieser immer ungeordneteren Welt einen
sicheren Platz zu finden.
Fazit
Hier und da mit einigen Längen versehen, in manchen Wendungen der Geschichte
wenig realitätsnah (es ist kaum zu glauben, dass ein jugendlicher Gangführer
ganz offen versucht, einen Polizisten zum Dealer zu machen) findet sich in
"Unter Feinden" dennoch ein gut geschriebener und intelligenter Roman,
der mehr zu bieten hat als nur ein einfache Verbrecherjagd oder die
obligatorische Frage, wer es denn gewesen sei.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 15. Februar 2012 2012-02-15 14:37:51