Made in Germany - wo in aller Welt gibt es dergleichen sonst?
Eine solche philosophische Systematik des Gesamtsystems Sprache habe ich noch
nie gesehen. Im Unterschied zu geschichtlichen Darstellungen der
Sprachphilosophie, handelt es sich um eine Systematik aus einem Guss. Sprache
wird erstens als eine besonderer Zeichengebrauch definiert (semiotisch): Was
unterscheidet sprachliche Zeichen von anderen? Sprache wird zweitens
durchgängig "pragmatisch" als Handlungen regulierendes Meta-Handeln
verstanden. Trotz grundlegender Kritik an Morris` Pragmatik-Begriff knüpft
Heinrichs an dessen berühmte Unterscheidung der semiotischen Dimensionen an.
Dessen drei Dimensionen: Syntax (Verbindung der Zeichen), Semantik (Bedeutung
der Zeichen) und Pragmatik (angeblich das Verhältnis der Benutzer zu den
Zeichen) werden aus einleuchtenden Gründen radikal umdefiniert und erweitert,
und so entstehen die vier Dimensionen, die in 5 Bänden behandelt werden.
Kennzeichnend ist drittens die durchgehende Bedeutung der Reflexion, d.h. der
Selbstbezüglichkeit. Sprache ist für Heinrichs die Weise, wie das
Reflexionswesen Mensch sich interpersonalen Ausdruck verschafft, und lässt sich
ganz und gar definieren als das Ausdruckssystem der menschlichen
Selbstreflexion. Die Vierfachheit der Heinrichs` Sozial- und zuletzt
Handlungstheorie prägenden Reflexionsstufen bestimmt mit quasi-mathematischer
Konsequenz die gesamte Gliederung und rekonstruktive Methode dieses
Sprach-Werkes.
Band 1: Die Zeichendimension. Das elementare Spiel der Zeichengestalten
(Sigmatik) behandelt - nach einer fulminanten generellen Einleitung - die Frage,
wie Sprache sich als ein besonders Zeichensystem etabliert. Es geht vor allem um
die ursprüngliche Handlungseinbettung von Sprachzeichen durch die so genannten
Sprachspiele. Dieser Begriff sowie der des Gebrauchs wird gegenüber der
fundamentalen Verwechslung bei Ludwig Wittgenstein präzisiert: Meint Gebrauch
ursprüngliche Bedeutungseinführung bzw. -erfassung oder aber interpersonalen
(pragmatischen) Gebrauch zu weiterer Verständigung?
Band 2: Die Bedeutungsdimension oder Semantik enthält die klassischen Themen
der Semantik: die Sichtung des Wortschatzes sowie die grundlegenden
Aussageformen. Die objektiven Bedeutungen der Sprache sind zutiefst subjektiv,
nämlich durch das System der Reflexionsbegriffe, vorgeprägt. In unserem
Wortschatz liegt unter der Oberfläche scheinbarer muttersprachlicher Unordnung
eine tiefere, begriffliche und universale Ordnung verborgen. Es beginnt schon
mit der Zuordnung der Wörter zu Wortarten, die erstmals reflexionslogisch
begründet werden. Die Reflexionslogik ist freilich eine andere und reichere
Logik als das, was als formale Logik gilt und von einer Richtung der
"Sprachlogik" der Sprache übergestülpt werden soll. Heinrichs
spricht im Gefolge des Logikers Gotthard Günther von mehrwertiger Logik. Die
Bedeutung dieser Art von Semantik liegt nicht zuletzt darin, dass ein Maßstab
geboten wird, das Universalsprachliche vom Einzelsprachlichen zu unterscheiden.
Die meisten Menschen sind mit Recht zunächst von konkreten Spracherscheinungen
beeindruckt. Sie können jedoch nicht unterscheiden, ob es das Besondere einer
Muttersprache oder das Allgemein-Sprachliche ist, was sie fasziniert - oder etwa
gerade das Zusammenspiel der beiden Ebenen. In dieser Semantik wird das
unterscheidbar.
Band 3: Die Handlungsdimension. Psychologik der Sprechakte und Dialoganalyse
(Pragmatik). - Den schon in der vorhergehenden Handlungstheorie von Heinrichs
behandelten großen Gattungen des Handelns entsprechen nun auf der Ebene des
Sprach-Handelns: Erstens die objektive Informationspragmatik, zweitens die
subjektive Ausdruckspragmatik, drittens die interpersonale Wirkungspragmatik
sowie viertens die der Rollenausführung durch Sprache ("ich eröffne
hiermit die Sitzung", "ich heirate dich"). Es ist erstaunlich,
wie viele der von der bisherigen Sprachpragmatik (im Gefolge von J. Austin und
J. Searle) ungeklärten Probleme durch das konsequente methodische Vorangehen
eine Lösung finden. Eine wahre Goldgrube für alle Lehrer und Trainer der
Kommunikation durch Sprache. Hier wird Sprache als soziales Handeln in seiner
ganzen Breite thematisiert - ohne die falsche Gleichschaltung von Handeln und
Meta-Handeln durch Sprache.
Band 4: Die Satzbauformel. Eine philosophisch begründende Grammatik (Syntax). -
Seit Noam Chomskys Entwürfen zu einer universalen generativen Grammatik in den
60er Jahren (die heute trotz stärkstem Widerhall als gescheitert gilt) hat man
einen solchen Anspruch nicht vernommen. Heinrichs akzeptiert den Anspruch,
jedoch nicht die Methoden der Durchführung von Chomskys universalgrammatischem
Projekt. Seine Kritik betrifft vor allem das zweiwertige Verfahren der
Baum-Diagramme bei Chomsky. Heinrichs` in allen vorhergehenden Bänden
praktizierte mehrwertige Logik führt zu anschaulichen Kreisdiagrammen, mit der
jeder grammatische Satz analysiert werden kann, und dies sogar anschaulich.
Auf dem Hintergrund der allen Sprachen gemeinsamen syntaktischen (ebenso wie
sigmatischen, semantischen und pragmatischen) Tiefenstrukturen eröffnen sich
die Möglichkeiten der Übersetzung, besonders der maschinellen, in ungeahnter
Weise. Es gibt Computerlinguisten, die sich bereits um diesen philosophisch
fundierten Entwurf von Sprachtheorie kümmern. Doch die Kluft zwischen
Sprachinformatik und Philosophie klafft derzeit noch weiter als die zwischen
Linguistik allgemein und Philosophie. Heinrichs will zuerst diese letztere, in
200 Jahren gewachsene Kluft überbrücken.
Band 5: Textsorten und Stilfiguren oder Die Festspiele des Stils (Stilistik). -
Stilistik ist für Heinrichs nichts anderes als die Aufgipfelung der Syntax, der
Verbindungsdimension der Sprache, in einer syntaktischen Syntax. Es geht um
satzüberschreitende Figuren, allerdings nicht nur im quantitativen, sondern im
qualitativen Sinn: Die normale Satzsyntax wird in den Stilfiguren vorausgesetzt
und meta-syntaktisch überstiegen. Der Autor findet auch im scheinbaren Wirrwarr
der Stilfiguren die reflexionstheoretische Ordnung: 1. die Wiederholungsfiguren,
2. die Analogiefiguren (Metaphern, Gleichnisse usw.), 3. die Maskenspiele der
Sprache mit der Wahrheit, wie z.B. Übertreibung und Ironie, 4. Die
"Spiegel-Spiele" der Wortspiele, Antithesen und alles, was in der
traditionellen Rhetorik bekannt oder noch unbekannt, in jedem Fall bis dato
ungeordnet war. Der scheinbar vermessene Anspruch artikuliert sich schon auf dem
Umschlag: "Ist es möglich, das Zeitalter des traditionellen Jagens und
Sammelns und das der provinziell-willkürlichen Ad-Hoc-Theorien in Sachen
Stilfiguren zu beenden? Einordnung der Stilphänomene in ein sprachtheoretisches
Ganzes - auf welcher anderen Grundlage als derjenigen der vorhergehenden 4
Bände 'Sprache' wäre das möglich?" Die zahllosen Beispiele aus Lyrik und
Sponti-Sprache lassen den stilsensiblen Leser aus dem Staunen nicht heraus
kommen.
Fazit
Wer daran zweifelt, ob Sprachtheorie, gar philosophische, heute einen
praktischen Wert hat, sollte vielleicht mit diesem letzten Band anfangen, nicht
nur als Student der Philosophie oder Linguistik oder Literaturwissenschaft,
sondern einfach als Sprachliebhaber. Es gibt derzeit weltweit keine ernsthafte
Konkurrenz zu den Beschreibungsmöglichkeiten dieser Stilistik. Der Clou aber
ist, dass ihre Figuren bloß die reichhaltigen Sahnehäubchen und Früchte auf
einer solide gebauten Torte sind. Das komplette Werk ist einmalig und äußerst
empfehlenswert! Selbst wenn hier und da Korrekturen notwendig werden sollten, so
ist in sensationeller Weise eine ganz neue Ebene der Verbindung von empirischer
Linguistik und philosophischer Logik eröffnet. Es wird nur leider wieder
einmal Jahrzehnte brauchen, bis die universitären Erkenntnis-Beamten und
spezialistischen Fach-Leute da mitkommen und das anerkennen werden. Angenommen,
dieses typische Produkt deutscher Reflexionsphilosophie läge auf Englisch vor -
wäre die Rezeption in den USA leichter und schneller?
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 07. Februar 2012 2012-02-07 18:29:47