2. Auflage des Einführungsbuches
"Gedächtnis" "ist ein Thema, das zusammenführt wie kaum ein
anderes".
Mit diesem Satz aus der Einleitung eröffnet Astrid Erll in der zweiten Auflage
des Buches bereits in bester Weise das umfassende Spektrum ihres Themas. Weit
übergreifend beschäftigen sich gegenwärtig die verschiedensten
wissenschaftlichen Fachrichtungen und kulturelle Symbolsystem mit der
"Erinnerungspraxis und deren Reflektion". Nicht umsonst hat sich
"Gedächtnis und Erinnerung" zu einem Leitbegriff der
Kulturwissenschaften an sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Gut daher,
dass Astrid Erll nun in der zweiten Auflage den rasanten Entwicklungen des
Themas Rechnung trägt, ihr Buch von 2004 grundlegend aktualisiert und zwei neue
Kapitel hinzufügt.
Zum einen eines über transnationale und transkulturelle Gedächtnisprozesse und
zum anderen eines über den aktuellen Stand der medienkulturwissenschaftlichen
Ansätze im Blick auf "Gedächtnis". Dies stellt sich vor allem als
wichtig dar in den fundiert neu aufgenommenen Betrachtungen der digitalen
Medien, die noch ganz andere Formen von "Erinnerungskulturen" in den
letzten Jahren in den Raum gesetzt haben, als vor einem Jahrzehnt denkbar
gewesen wäre.
Nach einer Einleitung und Begriffklärung stellt Erll ihre Einführung in das
kulturwissenschaftliches Thema des Gedächtnisses, des "kollektiven"
Gedächtnisses und des kulturellen Erinnerns wohlgeordnet und sprachlich
verständlich vor die Augen des Lesersn den Begriff des "kollektiven
Gedächtnisses" möglichst weit fassend, um auch unterschiedlichste
Diskurse und Strömungen integrieren zu können.
So ist der Beginn mit einem Abriss der Forschungsgeschichte und der damit
einhergehenden "Erfindung" des "kollektiven Gedächtnisses"
ein logischer, erster Schritt.
Sehr gut gelöst findet sich dann im nächsten Hauptteil zum einen ein
Übersicht über disziplinspezifische Zugänge zum Thema (Geschichte, Oral
History, Kunst und Literatur etc.), als die Autorin auch Einblick gibt in die
vielfältigen interdisziplinären Vernetzungsmöglichkeiten (und bereist
vorliegenden Vernetzungen). Gerade dann die Hauptteile über "Medien und
Gedächtnis", sowie "Literatur als Medium des kollektiven
Gedächtnisses" zeigen die vorhandene Breite der (immer schon vorliegenden)
Erinnerungskulturen, deren stete Weiterentwicklung gerade in der modernen Welt
und deren systematische "Entdeckung" durch die aktuelle Forschung
breit auf. Dass die "Gedächtnisgeschichte" letztlich immer auch
zugleich eine "Mediengeschichte" ist und dass jene transportierenden
Medien vielfältig je zu Zeiten anders geartet vorlagen sind wichtige Grundlagen
zum Verständnis des umfassenden Themas des "kollektiven
Gedächtnisses".
Grundlegend fließen in all die Betrachtungen des Buches beständig vielfältige
Impulse und Ergebnisse, als auch Darstellungen, der kulturwissenschaftlichen
Gedächtnisforschung ein. Erll lenkt den Blick hierbei überzeugend gerade auf
die übergreifende Qualität der Disziplinen. Die Gedächtnisforschung ist
tatsächlich jener kulturwissenschaftliche Zweig, der transnational,
interkulturell und interdisziplinär Forschung und gesellschaftliches
"Erinnern" in sich birgt.
Als Lösung vorliegender Dilemmas in Fragen der Einordnung und Zugehörigkeit
des Forschungsfeldes legt Erll zu guter Letzt noch die Grundlagen einer
"erinnerungshistorischen Literaturwissenschaft" vor, im Zuge derer sie
die Literatur (in breitem Verständnis) als Medium des kollektiven
Gedächtnisses konzipiert. Ein Feld, in dem, so es allgemeine Anerkennung finden
würde, die einzelnen Forschungs- und Diskursbereiche eine
"Sammelstelle" ebenso finden würde wie Parameter für weitere
Betrachtungen.
Fazit
Trotz des hohen wissenschaftlichen Anspruches (das Buch ist sprachlich beileibe
keine leicht fließende Unterhaltungslektüre), bietet das Buch eine umfassende
und konstruktive Einführung in dieses zentrale Feld menschlichen Seins und
wissenschaftlicher Forschung. Ein Verständnis eröffnet sich, dass durchaus
seine Wirkung auf auch aktuelle Diskussionen der digitalen (und damit
nicht-vergesslichen und informationsgefluteten Welt) hat und haben wird.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 23. Januar 2012 2012-01-23 11:44:55