Eine Zeitreise durch die Geschichte des Westens
"Wie kam es dazu, dass einige kleine Staaten am Westrand der eurasischen
Landmasse um das Jahr 1500 begannen, ihren Einfluss auf die übrige Welt rasch
zu vergrößern und sich eine Vormachtstellung..... zu sichern".
Dies ist die Leitfrage des Buches von Niall Ferguson, Professor für neuere
Geschichte in Harvard, und die für ihn "interessanteste Frage, die ein
Historiker in der Gegenwart stellen kann".
In sechs großen Themenbereichen geht Ferguson sodann dieser Frage ausführlich
und breit, ohne es an der notwendigen Tiefe fehlen zu lassen, im Buch nach und
endet mit einem Ausblick auf "Die Rivalen" (der Moderne), der in die
nähere Zukunft ein stückweit schauen lässt.
Geordnet hat Fergusson hierbei sein Unterfangen durchaus sinnvoll nicht rein
chronologisch, sondern themenorientiert. In den großen gesellschaftlichen
Feldern des Wettbewerbs (Grundlage aller Entwicklungen nach Ferguson), der
Wissenschaft, des Eigentums, der Medizin, des Konsums und der Arbeit vollzieht
er umfassend die Entwicklung der Welt nach dem 1500 Jahrhundert nach und weist
in allen Feldern jene Entwicklungen auf, die zu Zeiten diesen "kleinen
Staaten des Westens" die entscheidenden Vorsprünge "vor dem Rest der
Welt" gesichert haben. Vorsprünge, die nicht nur zu wirtschaftlichen
Vorteilen geführt haben, sondern auch zu jener Jahrhunderte andauernden
Haltung, die eigene Kultur quasi zu "exportieren" und andern Kulturen
durchaus auch gewaltsam aufzudrängen.
Ein Gewicht der Kräfte, dass in unseren Tagen deutlich ins Schwanken gerät
und, so Ferguson, durchaus in naher Zukunft zu ungunsten des Westens sich
nachhaltig entscheiden kann (so dies nicht bereits geschehen ist).
Dies ist die Diagnose der Moderne, das Spannungsverhältnis zwischen
schwindendem Einfluss, zunehmender Schwäche des Westens und der dennoch in
Teilen ungebrochenen, aus der Geschichte erwachsenen, Haltung der kulturellen
Hybris, die eigene Weltanschauung weiterhin weltweit zu verbreiten (vornehmlich
in amerikanischer Prägung).
Eine Entwicklung, die Ferguson im Buch wie in einer Fieberkurve nachvollzieht.
Der Aufstieg des Westens und damit einhergehend der Niedergang ehemals in ihren
Bereichen führender Hochkulturen (an dem in beeiden Richtungen die christliche
Religion, vornehmlich die katholische Kirche maßgeblich beteiligt waren) und
nunmehr die wiederum erstarkenden anderen Kräfte (vornehmlich China) und der
damit einhergehende, durchaus klar zu beobachtende, Niedergang des Westens als
kulturelle und wirtschaftliche Vormacht.
Ein wieder Erstarken, das, auch dies weist Ferguson schlüssig nach, auf der
Grundlage der westlichen Errungenschaften beruht. Auf allen Feldern hat
vornehmlich China die "Kopie" zunächst intensiviert und nun, darauf
aufbauend, eigene Weiterentwicklungen vorangetrieben, ohne dabei fundamentale
"schwächende Entwicklungen" des Westens (u.a. überbordender Konsum
und damit einhergehende massive Verschuldung) zu übernehmen. In dieser
überbordenden Konsumhaltung (und deren Folgen) sieht Ferguson dann auch den
zentralen "Systemfehler" des Westens und die Ursache für alle
folgenden Schwächungen.
Nicht das "Ende aller Tage" sieht Ferguson gekommen, wohl aber
prognostiziert er das Ende der westlichen Vorherrschaft in jedem Sinne und wirft
zudem die sorgende Frage auf, wieweit der Westen überhaupt in Zukunft noch
kulturell existieren wird oder ob gar eine völlige Assimilation an eine
kommende asiatische "Vorherrschaft" sich vollziehen wird.
Ferguson bietet im Buch eine durchaus fundierte Darstellung der geschichtlichen
Entwicklung und legt sämtliche entscheidenden Entwicklungen und Themenfelder
breit vor. Ebenso fundiert vollzieht er seine Analyse des langsamen Niedergangs
der westlichen Kultur (die in ihren gewaltsamen Ausprägungen weltweit auch kaum
vermisst werden wird).
In seinen Schlüssen für die Zukunft, die der aus all diesem zieht, wirkt er
manches Mal allerdings sehr eng. Auch andere, differenziertere Entwicklungen
sind möglich und noch ist nicht entschieden, ob die (selbstverschuldete)
wirtschaftliche und kulturelle Ideenschwäche des gesamten Westens quasi zur
kulturellen Auflösung führen wird, oder ob das "Erbe der Geschichte"
eine neue Wendung mit neuer Kraft zu nehmen vermag. Grund zur Sorge, das weist
Ferguson nachdrücklich nach, besteht allerdings sehr.
Fazit
Auch wenn man Ferguson in seinen Zukunftsthesen nicht in Gänze zu folgen bereit
ist, legt er doch ein wichtiges und gehaltvolles Buch zur westlichen Haltung und
deren geschichtlichen Wurzeln vor.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 03. Dezember 2011 2011-12-03 14:49:54