Wenn ein Abgrund sich auftut
"Am Anfang steht der Versuch, die Ursprünge des Universums zu ergründen,
und am Ende hat man Ebay", sagt einer der Professoren, die am CERN in der
Schweiz den Grundlagen des Universums auf der Spur ist.
Das allein macht zunächst noch keine Angst, gibt aber die inhaltliche Richtung
und grundlegende Sorge des Romans vor, die Robert Harris an sich selber anhand
seiner Beobachtungen des computergestützten Handels an der Börse feststellte
und nun in einem hochintelligenten Thriller mit vielen Hintergrundinformationen
zum Ablauf des modernen, algorhitmisch gestützten Börsenhandels als Buch
verarbeitet. Entwickelt für ganz andere, forschende Ziele, werden selbst
komplexe, kaum zu beherrschende oder zu verstehende Programme umgehend für rein
egozentrische, pekuniäre Ziele eingesetzt. Mit teils dramatischen Folgen
durchaus auch in der Realität und nicht nur in diesem Buch.
Auch die Hauptfigur des Romans, Professor Alex Hoffmann, innerlich exzentrisch,
öffentlichkeitsscheu, war am Cern und hat sich verbissen in die Entwicklung
selbstlernender Algorhitmen. Mit seinen Ergebnissen gründete er vor 8 Jahren im
Buch einen Hedgefonds, dessen Software umfassend das Internet nach
Angstparametern absucht, den Börsenhandel daraufhin überprüft und
eigenständig Trades vollzieht aufgrund der Berechnungen. Und dies äußerst
erfolgreich mit 83 Prozent Rendite in den letzten Jahren.
Während Hoffmanns Partner Investoren einlädt, um den Hedgefonds finanziell zu
erweitern, hat Hoffmann selbst plötzlich ganz andere Probleme. Zunächst
erhält er ein Buch, eine Erstausgabe von Darwins Betrachtungen der
Gemütsbewegungen beim Menschen mit einem Lesezeichen dort, wo die Angst
dargestellt wird. Dann wird am gleichen Abend bei ihm eingebrochen durch einen
Mann, der dem Buch fast entsprungen scheint. Noch mehr merkwürdige Ereignisse
geschehen und lassen Hoffmann selbst, aber auch seine Frau und sein Umfeld, an
seinem Verstand zweifeln.
Zugleich beginnt im Handelsraum seiner Firma eine intensive, eigenständige
Tätigkeit des Algorhitmus, die mehr und mehr zu einer Gefahr nicht nur für die
Gelder des Fonds selber werden, sondern die gesamte Börsenwelt in
Mitleidenschaft ziehen könnten.
Als Hoffmann dann noch feststellt, dass alle Räume der Firma, wie auch seine
private Villa umfassend überwacht werden, versteht er ganz langsam, was
wirklich hinter den verschiedenen Bedrohungen stehen könnte. Und das er
tatsächlich das Ziel eines Komplotts ist, um den einzigen Mann aus dem Spiel zu
ziehen, der die Technik vielleicht noch beherrschen könnte.
Robert Harris versteht es sprachlich hervorragend, eine bedrängende Atmosphäre
zu schaffen, ohne das all zu viel bereits passiert wäre. Zunächst auf der
inneren Ebene seines Protagonisten vollzieht er hintergründig nach, wie ein
Abgleiten in eine umfassende Angst vor sich geht, bevor er dann, diese
persönliche Ebene immer im Blick haltend, die Bedrohungen über einzelne
Personen heraus erweitert.
Das zudem Harris hervorragend recherchiert hat, die Welt der Hedgefonds, der
Börse und, vor allem, des computergestützten Handels fundiert darstellt und
gerade durch diese Realitätsnähe die immensen Gefahren dieser modernen Art,
Finanzgeschäfte in Millisekunden zu tätigen fassbar in den Raum stellt, dies
alles komponiert er mit großer Qualität zu einem intensiven Leseerlebnis auf
vielen Ebenen zusammen.
Fazit
Im Gegensatz zu manch andern Romanen des Autors (wie Vaterland), setzt Harris in
"Angst" kein Szenario "knapp neben der Realität", sondern
bildet nur im Rahmen eines hervorragenden Thrillers bestehende Realitäten ab,
die durchaus "Angst" hervorrufen sollten. Bedenkt man in Ruhe, wem und
in welcher Form die Menschheit mittlerweile einen hohen Teil ihres
wirtschaftlichen Wohlergehens anvertraut hat. Mit weitreichenden Folgen, wie man
jeden Tag aufs Neue zu sehen bekommt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 30. November 2011 2011-11-30 12:55:49