Krieg, Freundschaft, Ideale, Liebe und verführt werden
Verführt wird man durchaus im und durch das Buch, in vielfältiger Form. Der
Leser durch diese flüssig und mit großem Sprachschatz intensiv erzählte
Geschichte. Remi, 10 Jahre alt, durch die faszinierende Welt der Älteren und,
vor allem, durch Ward, den Freund seiner Geschwister. Renee, die Schwester
Remis, durch Ward, durch die Liebe an sich. Und Jef, der ältere Bruder Remis
durch seine tiefe Freundschaft zu Ward, die aber doch ihre Bewährungsprobe
nicht wirklich übersteht. Ward auch, durch die Ideologie des dritten Reiches,
eigentlich aber durch sein inneres Wesen, das nach Größe strebt. Eine Größe,
die der begnadete Saxophonist einerseits in der Musik findet, mit der er auf
seinem Instrument die "Sterne vom Himmel" zu holen versteht. Eine
Suche nach Größe aber auch, die nach mehr strebt, die durch Personen angeregt
werden kann, die durch einen seiner Lehrer in die Ideologie führt. Die falsche,
wohl. Fast eine Ironie im Buch ist es dann, dass eben Jef, der nie nach Größe
strebte, der nichts besonderes sein wollte, der lieber "in die Grube"
zum Arbeiten einfuhr statt seinem Vater zu folgen und ein Studium, etwas
"Besseres" zu beginnen, eine Art "Held" wird. Aber nur fast
eine Ironie.
Denn jene "Heldentat", die ihn in den Genuss der Verleihung einer
Medaille durch den belgischen Widerstand gelangen lässt, wird sich als etwas
ganz anderes in Wahrheit herausstellen, das aber erst ganz zum Schluss der
Geschichte.
Eine Geschichte, die hauptsächlich (aber bei weitem nicht nur) in den letzten
Monaten des zweiten Weltkrieges spielt. In einem kleinen Dorf in Belgien, das im
September 44 bereits dem Frieden entgegen sieht. Eine begrenzte Welt im Buch,
die sich weiterhin einengt, da der eigentliche "Ort" der Handlung das
Leben vierer junger Menschen ist, deren Drei zu einer Familie gehören Die
Geschwister Jef, Renee und Remi und ihres Freundes Ward.
Ein Wagnis zudem in der Erzählform ist Els Beerten zudem eingegangen. Aus den
genannten, vier verschiedenen Perspektiven heraus erzählt sie ihre Geschichte,
Kapitelweise, je in der Ich Form. Ein gelungenes Wagnis, kann man konstatieren,
denn da sich die Betrachtungen der je recht kurzen Kapitel in der Regel auf die
gleichen Zeiträume der Ereignisse bezieht, verwirrt diese Erzählform weniger,
denn dass sie einen dichten Teppich webt, in dem die verschiedenen, subjektiven
Empfindungen und Haltungen der Protagonisten einfließt. Ein Webstück, in dem
die innere Suche nach Orientierung der jungen Jahre ebenso intensiv dargestellt
wird, wie die perfide Maschinerie der Ideologie der Nationalsozialisten, aber
auch die sich überkreuzenden und Lebenswege der Protagonisten.
Ein Buch zudem aber auch, in dem wenig sich so herausstellen wird, als es zu
Anfang scheint. In dem die innere Geschichte des zweiten Weltkrieges ideologisch
genauso ihren prägenden Einfluss hat, wie die Beziehungen der jungen Menschen
untereinander. Beziehungen, die wechseln. Die erleben müssen, wie Ward sich auf
Seite Deutschlands stellt und in den Krieg zieht und wie er zur Persona non
grata werden muss. Zumindest im Äußeren der Haltung der zurückgebliebenen
Dorfbewohner. Nur der 10jährige Remi versteht die Welt an diesem Punkt nicht
mehr und ist ob seines Alters aber der Hilfloseste von allen.
Wie passend im Buch, dass die Blaskapelle des Dorfes, in dem sich alle
Beteiligten kennenlernen, "Unsere Sehnsucht" heißt, denn Sehnsucht
ist es, die im Eigentlichen den Kern des Buches trägt. Eine Sehnsucht nach
Tiefe, nach einem "Mehr als das, was da ist", die sich in der Musik
Bahn bricht, die aber auch im Leben ihren Ort sucht. Auf bei Jef, der doch jener
ist, "der Angst hat, seine Flügel auszubreiten". Und bei der die
Protagonisten bitter zu lernen haben werden, dass man "Wärme und
Freundschaft in keinem Laden findet".
Fazit
Freundschaft, die Verrat ausgesetzt ist, eine Geschichte mit doppeltem und
dreifachen Boden, die sprachlich und in der Konzeption als ganz hervorragender
Entwicklungsroman von Els Beerten umgesetzt wurde, der seine großen Stärken in
der sensiblen und intensiven Zeichnung der Figuren findet. Ein Buch, sicher in
erster Linie, aber bei weitem nicht nur, für Jugendliche und Heranwachsende.
Über innere Verführung, Lügen, Krieg, heranwachsende in unruhigen Zeiten und
die Suche nach einem eigenen Leben.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 26. Oktober 2011 2011-10-26 13:53:28