Dichterrebell
Es ist schon eine ganz besondere Lebensgeschichte, jene des 2001 gestorbenen
Dichters und Dramatikers (auch Drehbuchautors und Regisseurs) Thomas Brasch,
welche Klaus Pohl seinem Roman zu Grunde legt. Ein Roman nach tatsächlichen
Begebenheiten und doch mit literarischer Prägung, die ihn weit mehr sein lässt
als eine reine Biographie.
Jener "Robert Papst", den Klaus Pohl als Protagonisten zum Dreh- und
Angelpunkt der Lebensgeschichte von Thomas Brasch im Buch gestaltet, wird
späterhin eingeladen, gebeten, seine Autobiographie zu verfassen. Ein Projekt,
das er zwar annimmt, aber nicht umsetzt, sondern sich stattdessen der
Lebensgeschichte eines Mörders verschreibt, eines Mädchenmörders (die von
Brasch tatsächlich als Buch später veröffentlicht wurde, nachdem von fast
10.000 Seiten Manuskript gut 220 nur nach Bearbeitung durch den Verleger übrig
blieben) und verliert sich quasi in sich selbst in dieser Zeit.
Thomas Brasch war ein literarischer Rebell, der auch im Lebens einen ganz
eigenen Weg zu gehen gedachte. Einen Weg, der ihn in direkte Konfrontation mit
seinem Vater brachte und damit, schlimmer, in direkte Konfrontation mit dem
System der ehemaligen DDR, welchem der Vater als Kulturminister voller
Überzeugung angehörte. Da, wo seine Mutter freudig erregt "Endlich!
Endlich!" ruft. "Endlich haben sie zugemacht! Endlich haben wir jetzt
die Tür zugeschlagen", angesichts des Mauerbaus, da ist der Robert Papst
des Buches schockiert, der Kopf will fliehen, doch die Beine gehen nicht die
entscheidenden Schritte. Eine Zurückhaltung aus welchen Gründen auch immer,
die durchaus Folgen für Robert Papst haben wird. Er, der Volksversammlungen
hasst, dessen Vater an vorderster Front mit dabei ist, er, der in innerer
Spannung lebt (die ihn zeitlebens kaum wirklich verlassen wird). Er, der sagen
kann: "Ich muss meinen Vater töten. Aussichtslos. Ich liebe ihn doch mehr,
als ich ihn hasse". (ein späteres Buch des Thomas Brasch trug
sinnigerweise den Titel: "Vor den Vätern sterben die Söhne").
Die äußeren Stationen des weiteren Ergehens mögen nüchtern benannt werden
können. Wie Brasch im wahren Leben wendet sich Probst im Buch gegen das
Zentralkomitee, wird zur Zwangsarbeit verurteilt (in der "preußischen
Wüste" nahe der polnischen Grenze, Straßenbau), gab nicht auf, war
weiterhin politisch aktiv, lebte zusammen mit einer der führenden Sängerinnen
der damaligen DDR, wurde wiederum verhaftet und zu Gefängnis verurteilt,
schrieb erste Dramen (meist gar nicht erst aufgeführt, ansonsten schnell wieder
om Spielplan genommen) und reiste 1976 nach Westdeutschland aus (bzw. wurde
abgeschoben, das trifft es sicherlich eher im Umfeld der Ausbürgerung Wolf
Biermanns).
Äußere Stationen, die nun durch Klaus Pohl mit Leben gefüllt werden. Welche
die Persönlichkeit eines Mannes Seite für Seite aufblitzen lassen, der sich
"in keinem Leben einrichten kann, zu allem stellt er sich in Widerspruch.
Er nimmt keine Rücksicht, auf keinen". Eine Rücksichtslosigkeit, die im
Buch verdeutlicht, dass sie auch vor dem eigenen Leben keinen Halt macht.
Alkohol, Schwierigkeiten in Beziehungen fast jeder Art, eine Persönlichkeit,
die sich auch in seinen oft sperrigen Stücken und Texten niederschlagen.
So ist dieser Roman von Klaus Probst tatsächlich jenes Buch, das Thomas Barsch
selber nicht verfasste, eine "quasi Autobiographie" anhand der
Kunstfigur Robert Papst. Ein Stück Zeitgeschichte sicherlich der DDR im Blick
auf staatstragende und staatskritische Personen, auf Verhältnisse, Bedrängung
und Verurteilung, aber auch ein Stück kultureller Zeitgeschichte natürlich der
Bundesrepublik ("Ein Taumel durch das Höllenfeuer der Eitelkeiten").
Mehr noch aber ein Einblick in ein lebensbestimmendes Sohn-Vater Verhältnis und
in eine unruhige Seele, die letztlich Zeit ihres Lebens nie wirklich Frieden
gefunden hat.
Ein biographischer Roman, der seine Qualität vor allem dadurch erhält, dass
Pohl eben von außen auf Brasch blickt und es versteht, die Brüche der Person
literarisch umzusetzen und herauszuarbeiten.
Fazit
Klaus Pohl schreibt mit klarer, teils kantiger Sprache, benutzt an manchen
Stellen nur mehr Schlagworte, um das Werk und den (durchaus) Erfolg des
Literaten Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre zu beschreiben. Einer, der
weniger aus rationaler Überzeugung (das auch), mehr aber noch aus innerem Zwang
stur seinen Weg ging, geschildert in einer Sprache, die ebenso kantig
literarisch umsetzt, was die Person des zu Grunde liegenden Thomas Barsch
ausmachte.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 23. Oktober 2011 2011-10-23 12:44:33