Veränderung der Konsumstile als Möglichkeit gegen die ökologische Krise
Der Soziologe Oliver Stengel legt in diesem beachtenswerten Buch die bisherige
Quintessenz seiner forschenden Beobachtungen im Blick auf die
Suffiziensstrategie nun erstmalig in gebotener Breite vor. Auf der Basis der
Beobachtung der Dialektik der Aneignung der Natur durch den Menschen (Notwendige
Bändigung von Naturgewalten einerseits, aber nun Bedrohung des Menschen (und
der Natur) durch die Bändigung der Natur selbst) setzt er ein deutliches
Wegzeichen zur Bewältigung der um sich greifenden ökologischen Krise des
Planenten aus soziologischer Sicht heraus.
Im Kern sieht Stengel bei diesem (überlebensnotwendigen) Versuch der
Eindämmung der ökologischen Krise keinen Weg an einer Suffiziensstrategie
vorbei (eine "unumgängliche Strategie"). Nur eine "Verringerung
des Güterkonsums" bietet noch mögliche Auswege aus einem zukünftigen
Kollaps des ökologischen Systems. Dies ist, erwähnt Stengel durchaus, keine
"neue" Überlegung. Da aber bereits lange bekannt und dennoch nicht
umgesetzt, ist es sicherlich die wichtigste Angelegenheit (und in bester Weise
auch der Kern des Buches), die "Barrieren" näher zu betrachten, aus
denen heraus eine Dematerialisierung bis dato als völlig unrealistisch
erscheint. Nicht nur, übrigens, weil der Mensch selbst als Gruppe uneinsichtig
wäre, auch, weil natürlich das gesamte, globale Wirtschaften auf ein
"Mehr" statt auf ein "Weniger" an Konsum sich ausrichtet.
Gründlich nähert sich Stengel auf diesem Wege seinem Thema. Allein schon tief
erhellend sind jene Passagen des Buches, die sich mit Entstehung und Zukunft der
Konsumgesellschaft befassen. Eine Form des gesellschaftlichen Lebens, die
entweder sich transformieren wird oder eben keine Zukunft mehr in sich trägt.
Eine absolute These, die Stengel durchaus fundiert und nachvollziehbar
argumentativ im Buch vorlegt.
Im Aufbau des Buches legt Stengel zunächst kurz die Diagnose der ökologischen
Krise vor, lokalisiert im Folgendem das Problem vor allem in Form der
Vordringlichkeit der Arbeitsproduktivität und der damit einhergehenden
Beschleunigung auch der Krisen steigernden Prozesse. Intensivierung des
Lebensgefühls, Streben nach "Glanz" und absolut Setzung des
"westlichen" Lebensstils werden als Ursachen erläutert und mündet in
einer Prognose der Tristesse. Die freiwillige Veränderung des Menschen im Sinne
eine Dematerialisierung ist sodann der von Stengel vorgeschlagene Ausweg. Der
freiwillige Verzicht auf das "nicht Notwendige" im Sinne eines
"Weniger ist mehr". Gut erläutert Stengel nacheinander, dass ein
solcher Verzicht durchaus möglich ist ohne ein Abgleiten des Lebensstandards in
bodenlose Tiefen befürchten zu müssen.
Barrieren aber stehen massiv einer solchen, individuellen und gesellschaftlichen
"Besinnung" im Wege. Genuss der Freiheit von materieller Not,
Individualisierung und damit insuläre Wertebildung, ausgefeiltes Marketing
schon an Kindern, kulturell tief verankerte Begehrlichkeiten, Primat der
individuellen Rationalität, materialistischer Lebensstil (was man anfassen und,
vor allem, anderen zeigen kann ist wertvoll) und eine eher passive Rezeption von
Veränderungen (ich schließe mich vielleicht an) bilden jene starken,
soziologischen Barrieren, die echte Veränderungen so erschweren.
Doch diese Barrieren können überwunden werden und zwar von jedem einzelnen,
wie auch in größeren Verbünden. Unter Entwicklung einer
"Langsichtperspektive", statt immer nur auf Kurzfristbefriedigung
geeicht zu bleiben.
So dass in letzter Konsequenz die Einsicht nicht nur im Verstand entsteht,
sondern sich auch im praktischen Handeln beginnt umzusetzen, dass persönliche
Freiheit gerade durch Begrenzung im materiellen Bereich entsteht und entstehen
kann.
Ganz ohne regulierende Eingriffe wird dies aber nicht gehen, denn um
individuelle Entscheidungen treffen zu können, bedarf es a) einer umfassenden
Information und b) einer moralischen Bewertung. Am Beispiel des Rauchens gelingt
es Stengel, einen solchen Prozess verständlich und offen vor die Augen des
Lesers zu legen. Wie durch breite Information, Aushebelung der Deutungshoheit
der Zigarettenhersteller und ein sich entwickelndes auch moralisches Bewusstsein
der Schädigung Unbeteiligter die Prozentzahlen der Raucher in der
Gesamtgesellschaft drastisch sich nach unten reguliert hat und sich die
kulturelle Füllung des Rauchens auf diesem Wege fast ins Gegenteil verkehrt
hat
Dieses Beispiel zeigt, das eine Veränderung möglich ist, dass eine Begrenzung
(als Raucher zum Nichtraucher) Freiheiten mit sich bringt, dass eine objektive
und breite Information erst die Voraussetzungen für eine individuelle
Entscheidung mit sich bringt und dass die Ökonomie auf diesem Weg ein
schlechter Vorreiter oder Ratgeber wäre.
Alles in allem ein hoch wissenschaftliches, in Teilen abstrakt theoretisches
Werk, in dem Stengel immer wieder aber die Kurve hin zum "praktischen"
Leben bekommt und nicht müde wird, sowohl die Barrieren für ein Umdenken
angesichts der ökologischen Krise unserer Tage zu benennen, als auch Strategien
zur Überwindung dieser Barrieren aufzuzeigen. Und dabei immer wieder den Kern
seiner Betrachtungen auf die individuelle Entscheidungsebene setzt, die vor
allem aber als individuelle Entscheidung bestmöglich vorbereitet werden muss.
Fazit
Ein wichtiges Buch und ein wichtiger Schritt, der "Krise des
Überflusses" nachhaltig begegnen zu können, indem die Suffizienstrateige
fundiert erhoben, beschrieben und in denkbare Anwendung gebracht wird. Aber kein
Buch, dass man zwischen durch liest, sondern das konzentriert erarbeitet werden
will.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 22. Oktober 2011 2011-10-22 14:07:47