Tempo und ständige Überraschungen
Natürlich kann das neueste Werk von Sebastian Fitzek in sich abgeschlossen als
eigenständiger Thriller gelesen werden, für die nötigen Informationen sorgt
Fitzek geschickt auf den ersten Seiten des Buches. Aber im eigentlichen Sinne
ist der "Augenjäger" die direkte Fortsetzung des
"Augensammlers" mit gleichem Personal (nun ja, einiges an
Überraschungen wird auch hier auf den geneigten Lesern auf den ersten Seiten
warten) und der inneren Fortsetzung der Geschichte, die im letzten Buch
begann.
Eine Geschichte, die ein wahres Feuerwerk an überraschenden Wendungen bereit
hält und mit hohem Tempo von Fitzek vorangetrieben wird. Just in jenen
Augenblicken, in denen der Leser, vor allem nach den ersten 50
"Hochgeschwindigkeitsseiten", sich meint, zurücklehnen zu können und
einigermaßen nun die Verhältnisse der intensiv gezeichneten Figuren
untereinander einschätzen zu können, genau da führt Fitzek eine neue Volte
ein, die wieder das vermeintliche logische Gebäude in den Grundfesten
erschüttert und ganz neue Stränge vor die Augen legt. Eine Wendung, die
beileibe nicht die letzte im Buch bleibt. Bis zur fast letzten Seite wird der
Leser immer wieder sich innerlich neu einstellen müssen, um den
Gesamtzusammenhang der Ereignisse und der Figuren erkennen zu können und die
dramatischen Folgen der vielfachen Fehleinschätzungen im Buch im Gesamten vor
Augen dann liegen zu haben.
Augen, jene kostbaren Organe, die man unwillkürlich zu Zeiten im Buch fast
zuhält, um sie zu schützen. Zum Glück verzichtet Fitzek darauf, in allen
blutigen Einzelheiten die Techniken des "Augenjägers" zu beschreiben.
Die Details, die er beschreibt und die Ergebnisse der "Arbeit" des
augenfixierten Serienvergewaltigers reichen bereits aus, um durchgängig
Unwohlsein hervorzurufen. Da, wo einer Lider entfernt, damit die Opfer ihre
Augen vor einer unnennbaren "Schuld" nicht zu schließen vermögen und
die durchgängig weiblichen Opfer dann brutal vergewaltigt. Opfer, die dies in
der Regel nur solange überstehen, bis sie Gelegenheit zum Selbstmord finden.
Die blinde Alina mit ihrer speziellen Gabe, ein stückweit zumindest die Zukunft
schauen zu können, wird von der Polizei hinzugebeten, um, so möglich, Indizien
gegen den Hauptverdächtigen Dr. Zarin Suker zu "sehen", damit dieser
nicht aus Mangel an Beweisen auf freien Fuß gesetzt werden muss. Das gelingt
ihr nicht in ausreichendem Maße, Zuker kommt frei und nun ist niemand im Buch
mehr seines Lebens wirklich sicher. Mit Alina hat er ganz spezielle Pläne,
Pläne, die auch eine andere, junge Frau betreffen. Pläne, die durchaus
zurückreichen in die Ereignisse des letzten Buches um den Journalisten
Alexander Zorbach herum, dessen Frau ermordet und dessen Sohn am Ende des
"Augensammlers" entführt wurde. Zorbach, der zu Anfang des Buches dem
als sicher identifizierten Mörder Frank Lahmann hinterher taumelt, um seinen
Sohn Justin innerhalb der Zeit des Ultimatums zu retten. Eine Rettung mit
perfiden Bedingungen und dem ersten lauten Überraschungsknall des Buches.
Ein Buch, in dem sich niemand darauf verlassen kann, dass gut gut ist und böse
eben böse. Dass ständig die Linien zwischen Freund und Feind zu verwischen
vermag und sich in keiner Form scheut, auch den eigentlichen Hauptfiguren
inneren und äußeren Schaden zuzufügen. Schaden, der letztlich Wirkung zeigen
wird, der nicht einfach plötzlich heldenhaft überwunden wird. Bis zur letzten
Seite hin hält Fitzek Tempo und Volten, Wendungen und Hintergründe im Buch,
die ein Ausruhen des Lesers nicht zulassen. Trotz der ein oder anderen
Ungereimtheit (zwei Frauen, die eine schwer verletzt, die andere körperlich und
psychisch am Ende, lassen sich auf der Fahrt eigentlich ins Krankenhaus doch
noch absetzen für einen privaten Besuch? Nie, wenn die geschilderten
Verletzungen zutreffen!), erleidet die hervorragend konstruierte Geschichte in
ihrem roten Fadem durch solch (wenige) unrealistische Ereignisse keinen Abbruch.
Von der ersten Seite an wird der Leser in das Geschehen um Alina, Alexander,
Zuker, Lahmann und der ermittelnden Polizisten hineingezogen und nach einem
Parforceritt über gut 400 Seiten ebenso mitgenommen hinterlassen, wie die
Protagonisten im Buch. Nichts bleibt, wie es scheint und dennoch wirkt nichts an
den Haaren herbeigezogen.
Fazit
Spätestens nach der Lektüre des "Augenjägers" dürfte klar sein,
warum Fitzek einer der wenigen deutschen Thrillerautoren ist, der international
erfolgreich reüssiert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 10. Oktober 2011 2011-10-10 10:55:27