Wie die Labyrinthe-Jugendkrimis aus dem Thienemann-Verlag richtet sich die
Reihe: "Arena Thriller" an ein jugendliches Lesepublikum. Im
Unterschied zu den Labyrinthe-Krimis sind die Arena-Thriller jedoch deutlicher
auf eine weibliche Zielgruppe ausgerichtet. Verschmähte Liebe, Hassgefühle,
die zu dramatischen Entwicklungen führen, kennzeichnen die Serie, in der
Autoren wie Beatrix Gurian, Ulrike Bliefert, Krystina Kuhn schreiben. Zum
5-jährigen "Jubiläum" der Reihe ist ein Thriller der 1965 geborenen
Münchener Autorin Bettina Brömme unter dem Titel "Rachekuss"
erschienen, der buchstäblich unter die Haut geht.
Er schildert die Erlebnisse der 17-jährigen Flora, die eine brasilianische
Mutter und einen deutschen Vater hat. Der Vater wurde aus Brasilien nach
Erlangen versetzt. Daher muss die Familie aus Rio de Janeiro nach Deutschland
umziehen. Flora passt dies gar nicht, sie "vergeht" vor Heimweh nach
dem sonnigen Land und ihren dortigen Freunden. In Erlangen freundet sie sich mit
der gleichaltrigen Carina an, die ihr die Eingewöhnung in ihr neues Leben
erleichtert. Bald sind beide unzertrennlich. Da spürt Flora auf einmal, dass
der 18-jährige Yannik an ihr Interesse zeigt. Er hat sich Hals über Kopf in
sie verliebt...
Da beginnen mysteriöse Ereignisse. Flora sieht sich einer schmutzigen
Verleumdungskampagne ausgesetzt. Tierkadaver mit Blut wird unter ihre Bank
geschmuggelt. Die Party zu ihrem 18. Geburtstag "entgleist", weil -
durch Facebook von einer unbekannten Person über 100 fremde Leute dorthin
eingeladen werden und die Wohnung der Eltern verwüsten. Flora möchte zurück
nach Braslilien, doch dies erlauben die Eltern nicht. Da eskalieren die
Ereignisse und gipfeln schließlich in einem Mordversuch.
Das Buch, aus Sicht von Flora geschrieben, ist atemberaubend spannend. Die
Erzählperspektive ist die der Rückblende. Der "allwissende"
Erzähler kennt die Ereignisse der Handlung. In der Einleitung wird die
Verzweiflung Floras gezeigt, die sich als Tierquälerin, Psychopathin und
Mörderin verunglimpft sieht. Wer tut ihr dies nur an?
Ganz offenbar eine Person, die psychisch gestört ist. Jedes Kapitel beginnt mit
dem Auszug aus einem psychiatrischen Gutachten, welches die Krankheitssymptome
dieser Person schildert, die unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in
einer schweren Verlaufsform leidet. Der Leser denkt zu Beginn, es könnte sich
um Flora handeln. Dass dies nicht so ist, wird ihm allerdings bald klar...
Natürlich darf eine Rezension Verlauf und Täter nicht verraten. Nur so viel
sei gesagt: dem geübten Leser dürfte bald klar sein, wer der Täter ist. Doch
Flora, die sympathisch gezeichnete, wenn auch etwas naive Protagonistin der
Handlung, ahnt davon nichts. Der Leser möchte buchstäblich aufspringen und
Flora vor dieser Person warnen, doch er wäre mit diesen Warnungen wohl ebenso
erfolglos wie Floras Freunde, die das Spiel ebenfalls durchschauen. Doch kann
wirklich sein, wass offensichtlich scheint?
Das Buch spricht viele Themen an: Heimweh nach einer anderen Kultur, in der man
aufgewachsen ist, Probleme der Ich-Findung und des Erwachsen-Werdens, Mobbing,
auch Cyber-Mobbing, psychische Erkrankungen und die entsetzlichen Folgen, die
dies für die Erkrankten selber, aber auch für die Umgebung, haben kann: Der
Psychater thematisiert auch, dass das Umfeld des Täters besser auf sein
Verhalten hätte schauen und diesem mehr Beachtung hätte schenken müssen. Doch
ob man hätte helfen können, wie der Psychiater meint? Ich bezweifle dies.
Unter die Haut geht der Thriller deshalb, weil er nicht nur die Verstrickung in
Schuld zeigt, sondern m.E. genau diese Frage aufwirft: hätte ein
"anderes" Verhalten der Protagonisten die Eskalation der Ereignisse
stoppen können? Ich denke, dass dies nicht möglich gewesen wäre. Die Aussagen
des Gutachters im 19. Kapitel erscheinen mir hier zu optimistisch zu sein. Aber
genau diese Fragen lassen den Betrachter und den Leser "nicht mehr
los" und geben dem Buch eine unheimliche Tiefe.
Schwächen hat das Werk m.E. durchaus. Der Freund Floras, Yannick, wird etwas
blass gezeichnet, seine Rolle bei der entgleisten Party nicht eindeutig klar.
Dennoch ist er - wie alle anderen Protagonisten lebensecht und sehr authentisch
gezeichnet. Die Handlung hat in der Mitte stellenweise etwas Längen, man fragt
sich unwillkürlich, warum die Protagnostin der Wahrheit nicht längst auf die
Spur kommt bzw. die Polizei nicht intensiver ermittelt. Aber dies sind nur
kleine Schwächen "am Rande", die diesem spannenden Buch ansonsten
keinerlei "Abbruch" tun.
Ich finde toll, dass die Kultur und Lebensweise Brasiliens sehr gut
herübergebracht wird und auch die unterschiedlichen "Kulturen" und
Lebensstile Deutschlands und Brasiliens gut dargestellt werden. Da ich jemanden
kenne, der mit einer Brasilianerin verheiratet ist, die ebenfalls zeitweise an
Heimweh nach der Freundlichkeit und Fröhlichkeit Brasiliens in einem winterlich
kalten Deutschland leidet und litt, konnte ich die Probleme Floras gut
nachempfinden.
Fazit
Ein lesenswertes, aufwühlendes Buch, welches einen nachdenklich und aufgewühlt
zurücklässt, da die Frage, ob man dem Täter hätte früher helfen können und
müssen und ob dies überhaupt möglich gewesen wäre, meines Erachtens den Kern
der "Botschaft" des Romans ausmacht, der deshalb nicht nur für
Jugendliche, sondern auch für Erwachsene mit großem Gewinn zu lesen ist.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 09. Oktober 2011 2011-10-09 11:28:07