Listen vom Liebhaber der Listen
Wie Umberto Eco im Vorwort bereits sagt: Wer seine Romane liest wird
feststellen, dass es in diesen von Listen "nur so wimmelt". Und nun
hat Eco selber eine Liste zusammengestellt. Ausgehend von "Der Liste"
überhaupt in Ecos Augen, dem "Schiffskatalog" der Ilias Homers. Eine
Art des Menschen, Dinge zu katalogisieren, zu ordnen, Listen zu erstellen, die
sich durch die Jahrtausende zieht und noch lange nicht an ein Ende gelangt sein
wird.
So macht sich Eco auf, eine systematische Sichtung jener Listen zu erstellen,
die in der Literatur auftauchen. Wie er selbst sagt, eine schwindelerregende
Menge, die einfach ob der schieren Quantität nicht umfassend Eingang in dieses
Buch finden konnten (1003 sollen es im Buch sein). Und dann legt Eco los,
beginnend beim erwähnten Homer und dann ohne Unterlass Listen in der Kunst
weiterverfolgend. Unterbrochen von erläuternden Essays finden sich viele von
Eco ausgewählten Listen auch kommentarlos abgedruckt. Wie aber schon das Essay
über den "Schild des Achill" bei Homer anfügt, beinhalten Listen
keinesfalls nur Aufzählungen (auch wenn vordergründig aufgezählt wird),
sondern in mancherlei Hinsicht lassen Listen auch die Hintergründe
mitschwingen, wie man an der breiten Darstellung all jener Dinge herauslesen
kann, die den Schild des Achill schmücken und kennzeichnen. "Eine solche
Fülle von Szenen, dass man sich den Gegenstand in seinem ganzen Detailreichtum
nur schwer vorstellen kann". Eben keine "umfassende und geschlossene
Darstellung der Welt", wie bei der literarischen Erstellung des Schildes
behauptet wurde.
Diesen Detailreichtum des ersten "Listengegenstandes" des Buches nutzt
Eco sogleich, um seine Grundthese bildhaft darzustellen. Das es schon immer
unmöglich war, eine abgeschlossene Liste konkreter Dinge vorzulegen. Ein
Eindruck, den Eco durch eine Vielzahl von Abbildungen zu stützen gedenkt, so
wie "Das Auge der Stille" von Max Ernst und aufweisen möchte, dass
immer noch ein Neues ins Auge fallen wird, dass immer noch ein "und so
weiter" im Raume verbleibt, egal, wie ausführlich und lang die
entsprechende Liste (oder der adäquate visuelle Eindruck) auch sein mag.
Essays Ecos, (fast) unendlich viele literarische Beispiele der Darstellung und
Verarbeitung von Listen und eine Vielzahl von Illustrationen zeigen die
unglaubliche Verbreitung von Listen in der Kunst, die literarische Entwicklung
der Form der Liste, die Schwierigkeiten, sie wirklich zu erfassen und das
interessante Element einer doch "Offenheit" von Listen, so umfassend
und abgeschlossen sie auch wirken mögen.
Deutlich aber ist, dass Eco hier ein sehr, sehr spezielles Buch vorlegt, das aus
vielen Einzelteilen besteht, denen allein die Form der Liste und die Auswahl
durch Eco selbst einen gewissen Zusammenhalt bieten. "Die unendliche
Liste" ist kein Buch zum einfachen Lesen. Sondern eine Vielzahl von
Eindrücken, die jeweils zum Innehalten einladen, denen ein gewisses Interesse
für die Suche der Menschen nach der Ordnung der Dinge vorauszugehen hat. Eher
wie eine Ausstellung bietet sich das Buch dar, bei der Teile eher oberflächlich
nur geschweift werden und andere zum langen Verweilen einladen. Wie aber Eco
selber im Buch sagt, er selbst interessiert ja nicht für "praktische
Listen", einfache, schmähliche, trockene Aufzählungen irgendeines
Bestandes. Sondern für die Poesie hinter den literarischen Listen. Die
Anregungen, gerade die Unabgeschlossenheit vieler aufzählender Beschreibungen.
Fazit
Wer Eco in diesem fast unvermittelnden und mit wenig rotem Faden ausgestatteten
"Ausstellungsraum literarischer (und visueller) Listen folgen möchte, der
wird sicherlich auf seine Kosten kommen, teils staunend, teils amüsiert, teils
ratlos vor so mancher Liste stehen. Wer nicht bereit ist, der fast
transzendenten Ordnung hinter dem Versuch der "Auflistungen" zu
folgen, wird sicherlich eher ratlos im Buch umherirren (und dennoch Seltenheiten
an Text und Bild entdecken, die auch schon die Lektüre lohnen.)
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 06. Oktober 2011 2011-10-06 14:38:20