Scarpetta zum 18.
Es ist sicher die Figur ihres Lebens, wie Patricia Cornwell gern auch zugibt.
Kay Scarpetta, die Gerichtsmedizinerin, nun mit Sitz in Neuengland und eigenem,
neuen Institut, das auf die Eröffnung der Arbeit wartet. Während im letzten
Buch, "Scarpetta" breite Informationen über die "private
Seite" der Protagonistin einen guten Teil des Buches füllten (Scarpetta
Fans waren sicherlich angetan von diesen intimen Einblicken in das Familienleben
der Gerichtsmedizinerin), legt Cornwell in "Bastard" den Focus wieder
deutlich stärker auf den Fall, der im Raume steht (auch wenn das innere Erleben
ihrer Protagonisten nicht zu kurz kommt).
Auf gut 500 Seiten wendet sie sich hier nun modernsten Techniken und
Wissenschaften zu und verknüpft dies, gewohnt routiniert, mit der wohl
angeborenen Hartnäckigkeit ihrer Protagonistin.
Denn es findet sich, neben den aktuellen und vorrangigen Ereignissen, auch ein
Mord im Hintergrund, der zwar geklärt scheint, der ihr aber, so gut kennt man
Scarpetta inzwischen, mit einigen Ungereimtheiten, bis dato schon keine Ruhe
gelassen hat. Ein Mord, der durchaus Verbindungen zum eigentlichen Fall noch
aufweisen wird.
Während Kay Scarpetta ihren Spind bei der Army ausräumt und sich ihrem nun
wieder beginnend Leben als "Private" zuwendet, stirbt ein Mann auf
offener Straße. Nicht einfach so, ein Mord liegt nahe. Aber wie dieser verübt
wurde, das stellt die Gerichtsmedizinerin doch vor ein hartes Rätsel. Nun aber
auch intensiv kundig in neuesten gerichtsmedizinischen Verfahrensweisen
("virtuelle Autopsie"), findet Scarpetta die Todesursache doch. Und
als sie das Problem des Mordes löst, ist dies nicht das Ende des Falles,
sondern (wie in den Scarpetta Thrillern gewohnt) erst der Anfang zu einer
höchst gefährlichen Ermittlung, die weite Kreise ziehen wir und auch das
engste Umfeld Scarpettas mit einbeziehen wird. Auf allen Seiten.
Seiten mit vertrautem Personal für den, der Scarpetta schon etwas länger als
Leser begleitet. Die Nichte Lucy. Der enge Freund und ehemalige Polizist Pete
Morino. Und Natürlich Benton, der oft eher im Hintergrund sich befindende
Ehemann Scarpettas. Auch Jack Fielding, ein alter Kollege, tritt hinzu, hier
aber deuten sich bereits im ersten Teil des Buches einige Ungereimtheiten an,
die Jack Fielding verdächtig erscheinen lassen. Aber in welche Richtung genau?
Und, vor allem, warum? Das sind die Fragen, die sich durch die Geschichte
hindurch ziehen.
Eine Geschichte, die viel mit moderner Medizin-Technik und militärischen
Geheimnissen zu tun hat (Mikrorobots und mit einem lange kaum fassbaren
Mörder). Hier hat Patricia Cornwell einerseits hervorragend recherchiert.
Andererseits ist dies auch ein Problem des Buches. Vielleicht hat Cornwell zu
gut recherchiert und ist bemüht, alle Recherche Ergebnisse einfließen zu
lassen, mit der Folge doch mancher Längen im Buch, die dem Tempo der Geschichte
nicht gut tun. Daneben stehen zudem auch sehr routiniert wirkende Teile, die
zwar flüssig zu lesen sind, aber ein rechtes Spannungsgefühl an manchen Orten
des Buches nicht wirklich aufkommen lassen.
Gründlich vor allem in der Breite geht Cornwell vor. Wer ein schnelles,
aktionsreiches Tempo erwartet, wird hier nicht auf seine Kosten kommen. Wer eine
breite Darstellung auch des Innenlebens der Figuren und der inneren
Zusammenhänge zu schätzen weiß, der wird sich auch am "menschlichen
Faktor" und teils langatmigen technischen Erläuterungen des Buches nicht
stören und durchaus den flüssigen Stil und die im Kern spannende Geschichte
genießen können.
Fazit
Im Gesamten gut recherchiert mit spannender Grundidee, an einigen Stellen aber
zu ausführlich und langatmig, im Stil manches Mal fast schon zu routiniert,
bietet der "neue Scarpetta" durchaus noch gute Unterhaltung und
sorgfältig gestaltete Einblicke in die Arbeit der inzwischen gut bekannten und
vertrauten Gerichtsmedizinern, löst aber keine leidenschaftlichen
Begeisterungsstürme aus.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 30. September 2011 2011-09-30 15:12:55