Schon immer habe ich Schwierigkeiten mit den psychologischen Romanen (Krimis ?)
von Highsmith/Millar und auch Ruth Rendell alias Barbara Vine gehabt. Da wurde
mir empfohlen, die "Schwefelhochzeit" zu lesen. Die Figuren sind
differenziert gezeichnet. Allerdings - leider muß ich dies in dieser Härte
sage - ist der Roman für mich Ausdruck einer krankhaft zu nennenden Phantasie
und strotzt vor Unwahrscheinlichkeiten in der Handlung. Schon Jochen Schmidt hat
in seiner hervorragenden Einführung "Gangster, Opfer, Detektive: Eine
Typengeschichte des Kriminalromans" (Ullstein, 1989) erklärt, daß diese
Einschätzung von Ruth Rendell offenbar zu Recht besteht - jedenfalls, soweit
sie jene Sorte Romane angeht, die der Gattung des psychologischen Thrillers
zuzurechnen sind (vgl. S. 236). Sein Vorwurf gegen Rendells (alias Vines)
psychologische Thriller, die ohne Polizei und Mordaufklärung, ohne das
klassische Wohodunit-Schema auszukommen suchen - die er gegenüber den durchweg
überdurchschnittlichen Detektivgeschichten (mit Inspektor Wexford, B.N.)
abgrenzt - sind genau die obigen: "Dabei neigt Ruth Rendell zu
Handlungskonstruktionen, die allzu viele zufälle miteinander kombinieren und
Geschichten, im Positiven und im Negativen, so glatt aufgehen lassen wie eine
Rechenaufgabe" (Schmidt, S. 237). Dieser Fehler ist auch die große
Enttäuschung des vorliegenden Romans. Es ist das klassische Thema der
Dreiecksbeziehung (Ehemann, Ehefrau, Geliebte), welches schon bei
Boileau-Narcejac vorkommt und hier kunstvoll erweitert wird: neben der alten
Dame Stella (deren Ehemann selber eine Geliebte hatte und dann starb) hat auch
die Pflegerin Jenny eine Dreiecksbeziehung. Schon diese - gewollte -
Unwahrscheinlichkeit stört. Aber "natürlich" kommt hier der Zufall -
ein Autounfall - der "Lösung" der Geschichte entgegen (mehr soll hier
nicht verraten werden). Dies zeigt jedoch deutlich: die gesamte Story strotzt
vor Unwahrscheinlichkeiten. Auch die Verbindung zwischen der alten Dame Stella
und ihrer Pflegerin - der Spannung halber erst auf den letzten beiden Seiten
offenbart - ist vollends konstruiert. Der Roman offenbart, wie krankhaft die
Phantasie von Mördern (und leider offenbar auch Autoren, vgl. die
Verbrennungsszene der Leiche am Ende) zu sein scheint. Glaubwürdige, und in der
Handlung nachvollziehbare Kriminalromane - etwa der bei Diogenes erschienene
Band von P. Quentin: "Familienschande" sind spannende psychologische
Thriller, aber nicht solche konstruierten "Märchen" wie die
vorliegende "Schwefelhochzeit". Außerdem neigt Barbara Vine zu
Längen in der Darstellung. Die gesamte Story hätte auf 150 - 200 Seiten
erzählt werden können - statt auf 440. So wirkt der Roman streckenweise arg
ermüdend und langatmig. Erst auf den letzten hundert Seiten (ab S. 303 (Kap.
18) wird der Fall gelöst. Dies ist eindeutig zu spät. 150 Seiten sind hier
schlicht überflüssig.
Fazit
Insofern überwiegt bei mir nach dem Lesen die Unzufriedenheit - ich bin
gespannt, wie andere Leser über dieses Buch urteilen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 07. September 2003 2003-09-07 16:16:37