Lebensschau
Der Bastard, jahrhundertlang ein Schimpfwort, Synonym für einen, der als
"Unfall" gilt, verschwiegen wird, "da draußen" sein Dasein
zu fristen hat und der dennoch verbunden ist, nicht wegzuleugnen, wenn es darauf
ankommt.
Im Anblick dieser prallen, gefüllten, intensiven Lebensgeschichte der Kunst,
des Theater, der Oper, die Hans Neuenfels gelebt und erlebt hat und von der er
nun auf fast 460 Seiten in Bild und Wort kündet, liegt Neuenfels mit diesem
Wort als Programm nicht daneben. Immer umstritten, mal lauthals, mal leisere
Pfiffe, doch immer ist eine Reibung an seinem Werk, seinen Inszenierungen
vorhanden. Er, der die Krone deutscher Regiearbeiten schon längst erlangt
hatte, der den Wagner in Bayreuth in intensiven, anderen Formen auf die Bühne
brachte (und bringt), der auch dort Reibung erzeugt, aber Unvergessliches zu
hinterlassen versteht, hat eine lange Geschichte mit vielen Episoden zu
erzählen, beginnend in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts und, nicht nur
in den Anfängen, untrennbar verbunden mit Person und Werk des Max Ernst.
Seine bildhafte Stärke, sein immer zu spürender Zug zur aufweckenden,
ergänzenden Visualisierung seiner Theaterarbeit, das wird ihn seit diesen
Anfangsjahren nicht loslassen und eines seiner Markenzeichen sein. Ebenso wie
ein, durchaus in Teilen, ausuferndes Leben, ganz auch Klischees der "wilden
Kunst" erfüllend.
Daneben aber spürt man dem Buch auch die intensiven Momente ab, nicht nur in
der Kunst, auch in der Liebe. Die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar ist der
rote Faden im Leben von Hans Neuenfels, ein roter, ihn bindender, Faden, den er
ohne Umschweife zu Papier bringt, der sich durch seine "autobiografischen
Stationen" (so der Untertitel des Buches), begleitet.
Neben diesen ruhigen Tönen, die das Fundament des Menschen Neuenfels in den
Fokus mit rücken, lebt das Buch von einer vielfältigen Rückschau auf Erfolge,
Provokationen, Streitereien, die im Nachgang manches Mal eher absurd erscheinen
und, eben, vor allem, Werke, Arbeit, Aufführungen, Erläuterungen. So kann, was
Neuenfels charakterististisch über seine Frau zu sagen weiß, fast
ungeschmälert auch für ihn übernommen werden:" Das Verletzliche paart
sich mit unbeirrbarer Willenskraft, tarnte sich sogar mit ihr. Besessener Fleiß
und eine Disziplin, die bis zum...... Zusammenbruch führte."
Eine Lebensreise, die ihn vom Theater bis hin zum Film und zu
Operninszenierungen (bereits in den 70er Jahren) führte und in der auch seinen
Ruf als Musikregisseur Formen anzunehmen begann. Immer treu am Werk und immer
anders in der Darbietung. Inszenierungen, die, folgt man dem Buch und den
verschiedenen Rezeptionen der Aufführungen, immer auch in die menschliche Tiefe
vordrangen und emotionale Reaktionen genauso hervorrufen wollten, wie
emotionales Erleben als Teil der Inszenierung begriffen wurde.
Sprachlich ist das Buch flüssig zu lesen und bietet einen intensiven Blick in
die deutsche Theatergeschichte vor allem der letzten Jahrzehnte. Sicherlich
benötigt es hier auch ein grundsätzliches Vorinteresse des möglichen Lesers.
Neben so manchen Anekdoten und einer durchaus offenen Darstellung der eigenen
Person mit ihren problematischen Seiten, dreht sich das Buch doch zu weiten
Teilen um das Theater, die Oper, die Stücke, die Orte, die Arbeit der
Inszenierung und verbindet das vielfach menschliche und biografische mit diesen
Orten und Arbeiten. Zudem schwingt natürlich durchaus ein Teil aufregender
Zeitgeschichte hinter den biografischen Erinnerungen mit. Die 60er und 70er
Jahre waren Zeiten des Aufbruchs, des Experiments, der Auflösung konservativer
Strukturen am Theater. Innovatives, das sich eng mit dem Namen Neuenfels
verbindet und im Buch erkennbar nachvollzogen werden kann. Vor allem da, wo es
Neuenfels, die "Reibung des Missverständnisses" zu Gehör bringt.
Jene Diskrepanz zwischen den herrschenden Erwartungen und seiner konkreten
Umsetzung, die oft und oft zu skandalträchtigen Reaktionen geführt haben.
Fazit
Im Gesamten für den Theater- und kunstinteressierten Leser durchaus informativ
und dicht zu lesen, ohne persönliche Abstürze und wesentliche Elemente des
persönlichen Lebens auszusparen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 19. September 2011 2011-09-19 13:04:15