Hoffnung und Scheitern
Einen "Doppelroman" nennt Klaus Servene diese Kompilation aus zwei
Romanen, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden sind ("Seife"
erschienen im Jahr 2000, "Fell" erschienen 2007). Und dies ist ein
guter Titel.
Denn obwohl beide Romane einander nicht bedingen, nicht aufeinander aufbauen und
auch das "Personal" in beiden Romanen verschiedenen ist, kreisen beide
doch um das gleiche Thema (die Empörung, die Ohnmacht, der Angang gegen
Demütigung, soziales Verbrechen und innere Verletzungen). Zudem sind beide
Romane in der Struktur einander sehr ähnlich aufgebaut (die Gegenwart der
jeweiligen Hauptfiguren und ausführliche Erläuterungen, Geschichten und
Herleitungen aus den "Stammbäumen" der Protagonisten, anhand derer
Servene die fast Unabdingbarkeit der Vorkommnisse der Gegenwart intensiv
herzuleiten versteht). Der Sprachstil, in Teilen assoziativ, und dann wieder
detailliert, bis ins Kleinste schildernd, verbindet beide Romane ebenfalls im
Erzählstil, der Klaus Servene zu eigen ist.
In "Fell" wird Patrick Du Trou ermordet und es dauert fast bis zur
letzten Seite, bis wirklich klar wird, inwiefern die gesamten
Familienvernetzungen, die Verstrickungen eines Onkels in die
Schreckensherrschaft Nazi-Deutschlands und die ohnmächtige Empörung eines
Mannes gegen all dieses diesen Tod hervorgebracht haben. Eine Geflecht von
Verwobenheiten, welches Bernd Kuszinski, zu Beginn des Romans noch zweiter Mann
einer Catering- und Lebensmittelfirma, langsam aufdröseln wird, Schritt für
Schritt, einige Generationen zurück gar. Einer, der "der Welt
virtuell" bis dato "entglitten" war, der mit all dem Gemache
dieser Welt nichts mehr zu tun hatte, sondern still für sich seine Tage ablebt.
Aber auch einer, der tiefe Jugenderinnerungen an Du Trou in sich trägt, mit
diesem die finnischen Frauen entdeckte und nun nicht in Ruhe gelassen wird von
diesem Mord am alten Freund. Einem Freund, der als genetischen Defekt ein Stück
"Fell" am Körper trägt. Wie seine Mutter es ebenfalls trug. Eine
wunde Stelle, ein Absonderungsmerkmal. Zeichen des nicht wirklich Dazugehörens.
Ein Genuss ist es, diesen ersten gut 90 Seiten des ersten Romans zu folgen, so
dicht vermag Servene zu erzählen und bei allem Kopfschütteln und sich Fragen
des Lesers, wie denn nun all diese unverbunden wirkenden Erzählstränge
zusammengehören mögen, diesen doch immer wieder bei der Stange haltend.
Ein Leseerlebnis, das sich im zweiten Roman verdichtet und fortsetzt. Dieser,
nun in der Ich-Form konzipiert, erzählt von Johannes Deprez und seinem schon
frühen Verhältnis zur "Seife", mit all den Versuchen, sich
"rein zu waschen". Rein zu waschen von abstrakten Dingen, die seine
Mutter ihm innerlich auferlegte, reinzuwaschen aber auch von seiner Tat, die
sein Leben von diesem Augenblick an bestimmte, als er das Büro seines besten,
reichen Freundes Salman da Gama betreten hatte. Ein bester Freund, der einige
Zeit in der Fremde mit Johannes Frau verbracht hat. Einfach so. Eine Tat, die
daraus folgt, die fast zur Auflösung des Protagonisten in Seifenlauge führt
und, als dies nicht wirklich nutzt, zur Schrumpfung und Eingrabung aus eigener
Kraft.
Welch interessanter Kunstgriff, auch hier angesichts schreienden Unrechts in der
Welt, angesichts sozialen Zerfalls, aber auch reinen Egoismus ein
"Herausschrumpfen" aus dieser Welt (und das mit gutem, persönlichen
Grund gar), ebenfalls durch historische Verzahnung als fast Schicksalhaft
dargestellt, zum roten Faden zumindest des zweiten Teils von "Seife"
zu gestalten". Nicht Nazis spielen hier die herausragende Rolle (auch, wenn
diese vorkommen), weiter zurück zur Geschichte des Schinderhannes greift
Servene in "Seife" zur Erläuterungen des grundsätzlichen Problems
dieser Welt in der Gegenwart. Auch hier dauert es, bis alle Fäden in ihrer
Verbindung deutlich werden. Eine Geduld, die sich lohnt.
"Ich muss!". "Da ist der Spülstein. Vergiss die Seife
nicht". Doch eben nicht alles kann durch den Spülstein entsorgt werden und
nicht alles durch Seife reingewaschen werden.
Fazit
Mit feiner und umfassend differenzierter Sprache, im Stil durchaus angemessen
wechselnd und ebenso differenziert gezeichneten Protagonisten erzählt Servene
seine beiden Geschichten verletzter Menschen mit ihrer ganz eigenen Art, darauf
zu reagieren und sich zur Wehr zu setzten (nicht immer mit Erfolg, das Böse hat
die Kraft zum Gewinnen in Servenes Romanen). Rückzug von der Welt, Kampf gegen
sich selbst, Ohmacht vor jahrhundertealten Schicksalslinien und doch immer auch
ein Funken Hoffnung auf Besserung, auf ein Mehr sind die inneren Themen beider
Romane, die für ein intensives Leseerlebnis sorgen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 16. September 2011 2011-09-16 12:17:47