Mutternöte
"Ich glaube nicht, dass wir den Tod eines geliebten Menschen je ganz
überwinden. Wir lernen nur, mit seiner Abwesenheit zu leben", sagt Vic,
die Zufallsbekanntschaft Marcys auf ihrer Reise durch Irland. Die auch ganz
anders geplant war. Doch nun sitzt sie dort allein, hat die Trennung von ihrem
Mann zu überwinden, der nach 25 Jahren Ehe sich einer anderen Frau zugewendet
hat und hat vor allem die große, schwarze Leere der Trauer in sich über den
vermeintlichen Tod ihrer Tochter Devon. Zwar wurde deren Leiche nie gefunden,
aber in einem Kanu war diese auf einen See hinausgefahren und nicht
zurückgekehrt, nur das Kanu wurde wieder aufgefunden.
Und nun hier, am anderen Ende der Welt, schöpft die Kanadierin auf einsamer
Silberhochzeitsreise neue Hoffnung. Durch das Fenster eines Pubs in Cork sieht
sie ihre vermeintlich tote Tochter. Aber ist das wirklich Devon? Spielen ihre
Hoffnungen ihr einen Streich der Sinne? Marcy lässt alles stehen und liegen,
quartiert sich in der irischen Universitätsstadt ein und macht sich auf die
Suche nach Spuren ihrer Tochter. Unterstützt einerseits von Vic, jener
Zufallsbekanntschaft aus ihrer Reisegruppe, aus der durchaus mehr entstehen
könnte und Liam, einem charmanten, hoch attraktiven jungen Iren, Kellner in
jenem Pub, aus dem heraus Marcy Devon das erste Mal "gesichtet hatte".
Doch ihre Suche wird sie zu Verbindungen führen, die gefährlich sind.
Joay Fielding legt ein flüssiges, mit hoch gehaltenem Tempo versehenes Buch
vor, in dem überzeugende Charaktere die Handlung voranbringen. Überraschende
Wendungen, gerade auch, was die Vertrauenswürdigkeit so mancher Protagonisten
angeht, würzen die knapp 380 Seiten währende Suche der fast verzweifelnden
Mutter. Kaum jemand glaubt ihr und auch der Leser tut sich lange Zeit schwer
damit, die kurzen "Sichtungen" und Eindrücke Marcys ernst zu nehmen.
Als selbst Marcy fast bereit ist, sich selber Hirngespinste zu unterstellen,
nimmt der Fortgang der Geschichte noch einmal eine überraschende und
dramatische Wendung.
Bis dahin aber wird Marcy selber deutlich, dass nicht alles mit rechten Dingen
zu gehen kann und ihre Suche nach ihrer Tochter keineswegs eine zwar intensive,
im Ganzen aber doch harmlose Marotte sein könnte. Ihr Hotelzimmer wird
verwüstet, gefährliche Zufälle treten hinzu. Dennoch braucht sie lange, um
das ganze, perfide Spiel zu durchschauen, bei dem ihr eine durchaus tragende,
letztendlich aber tragische Rolle zugedacht wird.
Gerade was so manche "Zufälligkeiten" angeht, versteht es Joy
Fielding in diesem Buch sehr geschickt, verdeckte Spuren zu legen, die in einer
überraschenden Auflösung zum Ende hin zusammenfallen werden. Durch Rückblicke
in die eigene Lebensgeschichte Marcys mitsamt deren schwierigem Verhältnis zu
ihrer Mutter und Rückblicke auf ihr eigenes Verhältnis als Mutter zu ihrer
Tochter Devon verleit Fielding gerade der Figur der Marcy eine tragische Tiefe,
die den Leser mit hinein zieht in die Welt der trauernden und doch hoffenden
Mutter.
Fazit
Sprachlich flüssig und eingängig, durchaus logisch konstruiert, hier und da
mit einigen Übertreibungen und auch Längen versehen, bietet das Buch solide,
gute und durchaus spannende Unterhaltung mit differenzierten und weitgehend
ausgefeilten Charakteren. Durchaus verzeihlich ist es auf diesem Hintergrund,
dass die Auflösung des Thrillers zwar überraschend im Raum steht, aber doch
altbekannt anmutet und das Finale auch ein wenig kurz daherkommt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 14. September 2011 2011-09-14 14:50:29