Quicklebendige 160 Seiten. Sabine Büssing stellt pikante Lebenshinter- und
abgründe elf deutscher Komponisten, von J. S. Bach bis G. Mahler, vor. Zwar
frönt die Autorin ihrer gewaltig klingenden Vorankündigung, "in der
folgenden Untersuchung werden wir Geheimnisse lüften, die transzendentalerer
Natur sind: die Mysterien der schicksalhaften Verknüpfung von Leben und
Werk", doch verpackt sie ihre Texte nicht in Elfenbein, sondern charmant,
kriminalistisch, forschend; wie viel Fisch und wie viel Fleisch war Schubert,
31jährig, seine letzte Forelle verzehrend? Wieder und wieder lässt Büssing
das Diabolische im Schaffen der Tonkunstmeister aufblitzen, zum Beispiel dichtet
sie C. M. Weber in graziöser Weise einen Geist Samiel an, der in prophetischer
Manier zur Seite steht, sie lässt "Wolfgang Mozart mit zwölf Jahren zum
ersten Male das Zeitliche segnen" und ihn seine letzten 23 Jahre als
magnetisierten Pralinennascher durchsausen, Mahler sei gar kein Mensch, sondern
"Gott oder Dämon" gewesen. Büssing gibt in jedem Porträt
"nackte", peppige, erfundene Wahrheiten drauf; so habe Beethoven sein
Leben an "eine vom vielen Limonadentrinken herrührende Leberzirrhose"
verloren, Schuberts Vita fasst sie zusammen als "eines echten Gourmets
Leidensweg, vom ‚Roten Krebsen’ bis zum ‚Roten Kreuz’". Der
Musikkritiker wird bei diesen und anderen Passagen aufspringen, Büssing,
selbstironisch, beschreibt das; allerdings ist die Autorin Musikkennerin genug,
um zu wissen, wo sie verstellt, d. h. spielt, und wo sie, was sie nicht tut,
entfremdet, überzieht. Büsssing spielt, -weil sie viel weiß; sie stellt
Verknüpfungen her zwischen dem "pyknischem Charakter" im Körperbau
Schuberts und Beethovens und dem "sogenannten asthenischen Habitus"
Webers; elegant sind unscheinbare Unterscheidungen zwischen Mozart, dem
Halbgott, und Weber, dem Halbmensch; Mahler habe sich bei seinen vielen
Wohnungswechseln in Wien vom unsteten Beethoven inspirieren lassen. sie
empfindet der Musik ihrer Künstler nach, sie verfasst das Heiligenstädter
Testament Beethovens neu, sie "ergänzt" Webers Freischütz, sie nimmt
Teil an der Entstehung der Partitur des Ungarischen Tanzes Nr.5 Brahms.
Fazit
Wunderbar bizarre Panorama, vergnüglich, überdreht, neu.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
[Profil]
veröffentlicht am 10. September 2003 2003-09-10 11:53:39