Frauen - Macht
Gut, dass Wolfgang Herles am Ende des Buches darauf verweist, dass die Personen
des Romans zwar frei erfunden sind, Ähnlichkeiten mir realen Persönlichkeiten
aber als "unvermeidlich" sich darstellen. Man könnte nach der
Lektüre des Buches auch sagen, dass mancherlei Ähnlichkeiten durchaus gewollt
scheinen.
Gerade in der Person der Bundeskanzlerin Christina Böckler taucht einem doch,
flankiert durch die Titelbildgestaltung, vor allem aber aufgrund der luzide
skizzierten Persönlichkeit der "ersten Frau im Staate" im Buch oft
und oft die aktuelle Bundeskanzlerin auf.
Auch die Grundkonstruktion der Geschichte führt in diese Richtung.
Sind nicht eine ganze Reihe männlicher politischer "Platzhirsche" in
den letzten Jahren entzaubert, entmachtet, fast "entmannt" worden? Von
eben jener realen Kanzlerin?
Was wundert es, das es der Hauptperson des Buches, Jakob Stein,
Ex-Staatsminister, der sein Leben der Politik geweiht hatte, sich privat bereits
geschieden vorfindet und nun auch politisch die Scheidung eingereicht bekommen
hat, sich nahtlos in dieses Bild von Männern einreiht, die sich über Nacht auf
dem Abstellgleis wiederfinden? Von eben jener ihm doch so vertrauten Kanzlerin,
der er seine Kraft "geopfert hat".
Das Bild einer "Entmannung" erhält im weiteren Verlauf des Romans, je
besser der Leser jenen Jakob Stein kennenlernt, durchaus weiter an Tiefe. Aus
seiner nun intensiv, fast fanatisch, gelebten Freude an der klassischen Musik
entsteht eine weitere Obsession, die jener ehemals für die Politik und für die
Kanzlerin in nichts nachsteht. Jakob Stein lernt eben nichts dazu. Innerlich,
persönlich. Diese Fähigkeit zur Reflektion der eigenen Peron hat er nicht
ausgeprägt im Leben (noch mehr Ähnlichkeiten mit real existierenden
Personen).
Der Dirigentin Maria Besson wendet er sich mit ganzer "Herzenskraft"
zu und, späterhin, mit ganzer politischer Erfahrung und Leidenschaft, als diese
in Berlin wissentlich Teil des intriganten Kulturgeschehens wird. Besson möchte
den Chefposten. Andere wollen das verhindern. Jakob Stein entbrennt in
leidenschaftlicher Liebe und macht sich zum stalkenden Affen, lange Zeit, ohne
es zu merken. Bis auf seine Vermittlung hin die Dirigentin und die Kanzlerin
sich bei einem gesellschaftlichen Anlass kennenlernen und miteinander zu
verbünden scheinen. Nicht unbedingt primär gegen ihn, wohl aber für das Ziel
der Dirigentin (und damit gerät Stein indirekt zwischen die Mahlsteine der
beiden ehrgeizigen und machtbewussten Frauen). Mahlsteine, die ihn innerlich
zerreiben werden und eine Kanzlerin, die Besson ebenso fallen lassen wird, als
es an der Zeit wäre, sich eindeutig zu positionieren, wie sie bisher jeden
fallen gelassen hat, der ihr nicht mehr nützlich war.
Neben diesen äußeren Erzählstrang von den schmutzigen Haltungen und Wegen der
Macht, von der kühl lächelnden Entsorgung ehemaliger Weggefährten, wenn sie
lästig werden, stechen im Buch zwei weitere Momente heraus, welche die Lektüre
zu einem Gewinn werden lassen. Das Psychogramm des
"Vollblutpolitikers" Jakob Stein mitsamt seiner degenerierten, kaum
entwickelten, emotionalen Fähigkeiten ist schmerzlich in seinen naiven und sich
verstrickenden Bemühungen zu beobachten, der angehimmelten Dirigentin zu
gefallen. Diese innere Entwicklung bringt Wolfgang Herles genau auf den Punkt
und führt so beispielhaft eindrucksvoll in das Innenleben jener Menschen ein,
die außer der Politik und der Parteistrategien keine anderen Fähigkeiten im
Leben entwickelt haben. Eine drückende innere Leere, die Jakob Stein in diesem
Buch (und im wahren Leben?) nicht füllen werden wird.
Zum anderen schildert Herles akribisch Hintergründe, Interpretationen,
ausgewählter Stücke klassischer Musik und nimmt den Leser mit "hinter die
Bühne", vor allem, das den Ring Wagners angeht. Auch dies bildet durchaus
einen Gewinn der Lektüre. Der Leser spürt, dass sich Herles in beidem, der
Politik und der klassischen Musik, auskennt und sein Wissen geschickt mit
einfließen lässt.
Fazit
Unbefriedigend verbleibt demgegenüber der offene Schluss des Buches im Raume.
Zudem sind, gerade zum Ende hin, die inneren Entwicklungen des Jakob Stein doch
ein wenig an den Haaren herbeigezogen und kaum vorstellbar in diesen Formen
völliger "innerer Entgleisung". Kleine Wehrmutstropfen in einem
gelungenem Roman der Schilderungen des "Innenlebens" der Macht. Auf
politischer, menschlicher und musikalischer Ebene.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 23. August 2011 2011-08-23 12:53:04