Der taumelnde Kontinent von Philipp Blom ist ein gelungenes Buch, das die ersten
14 Jahre des 20. Jahrhunderts in Europa darstellt. Es ist keine Darstellung, die
in ihrer Form wissenschaftlichen Standards von Historikern genügen würde, doch
eben dies macht das Buch auch so reizvoll, da man so in die Psychologie der
Menschen dieser Jahre einsteigen und ihre (wahrscheinlichen) Hoffnungen und
Ängste kennenlernen kann. Blom versucht den Zeitgeist einzufangen und scheut
sich dafür nicht, persönliche Schilderungen und literarische Werke der Zeit
als Quellen zu nutzen, sodass man sehr vielen Facetten begegnet, die in
Geschichtsbüchern vielleicht ausgespart bleiben.
Philipp Blom gliedert sein Buch in 14 Teile, sodass jedem Jahr ein eigenes
Kapitel gewidmet wird. Die jeweiligen Kapitel beschäftigen sich dann mit einem
bestimmten "Spezialthema" (Der Völkermord in der belgischen Kolonie
Kongo, Esoterik, Kunst und Architektur etc. - immer mit Blick auf die
Aussagekraft, was in den europäischen Ländern und in den Menschen dieser
Länder vorging), doch dieses ist immer durch die Ereignisse oder historischen
Personen mit den anderen Themen und Jahren verbunden. Ein Motiv scheint im
Zentrum zu stehen, so meine Leseerfahrung: Das Gender-Problem; in dem Sinne,
dass der Autor die Angst vor dem Verlust der Männlichkeit, die Angst vor
emanzipierten Frauen, die Angst vor der Homosexualität als ein zentrales
Problem der europäischen Gesellschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts
aufzeigt.
Fazit
Ein sehr gut lesbares Buch, das einen tollen Überblick für die Jahre 1900-1914
liefert. Es ist streng gesehen keine historische Monographie, doch das ist gut
so: So lernt man Seiten kennen, die auch durch Quellen belegt bzw. gedeutet
werden können, welche in Geschichtsbüchern wohl nicht auftauchen.
Vorgeschlagen von Rafael
[Profil]
veröffentlicht am 18. August 2011 2011-08-18 10:20:52